Bis ans Ende der Welt (German Edition)
der Nacht gut durchblutet werden, drehe dann den Kopf zur Seite und schlafe in diesem Augeblick ein. Es ist ratsam, das Nachtgebet, und was sonst noch anstehen mag, bis dahin zu b e enden, sonst wird es an diesem Tag einfach nicht mehr fertig. So schlief ich auch diesmal selig ein. Um zehn Uhr flog mit Krach die Tür auf, und das Zi m mer wurde von sieben spanischen Bergsteigern gestürmt. Fünf Mann, zwei Frauen, laut rufend und intensiv nach Schweiß riechend. Allein der Geruch war messerscharf, es hätte der Rufe nicht bedurft. Wie ich bald verstand, kamen sie gerade von einer achttägigen Biwaktour in den Schweitzer Gletschern zurück. Duschen gab es dort freilich keine. Sie haben es auch nicht eilig gehabt, welche zu benützen. Zwar zogen sie sich sofort bis auf die Unterwäsche aus, aber erst entleerten sie unter noch mehr Geschrei und ständigem Ein- und Ausgehen die Rucksäcke und breiteten alles auf dem Boden und den Betten aus. Der Inhalt b e stand überwiegend aus Plastiktüten, in denen Diverses sinnvoll vorsortiert wu r de. Ein Problem war, daß die Tüten nicht durchsichtig waren und stets einzeln geöffnet werden mußten, um darin das jeweils Benötigte zu suchen. Es war dann meist nicht drin, was einen Anlaß zu Gesprächen und Rufen gab. Ein anderes Problem war, daß man sich den Inhalt - auch noch nach zehnmaligem Öffnen - nicht merken konnte und immerfort die laute Tüte wie einen Dudensack bedie n te. Mit etwa demselben Effekt. Schließlich gab es noch die Skistöcke. Sie fielen ständig um. Erst kam ein langgezogenes, knurrendes Geräusch, wenn die Stoc k krallen auf dem glatten Boden und gleichzeitig die Griffe an der Wand schar r ten, dann ein multipler schallender Schlag beim Aufprall auf den Boden. Das Zimmer jedenfalls versank im Chaos. Aber nichts dauert ewig. Es war noch nicht ganz elf Uhr, da waren alle vorhandenen Spanier geduscht und fein herg e richtet ausgehfertig. Anhand des Stadtführers diskutierten sie mit viel Elan, wo sie nun am besten zum Abendessen einkehren sollten. Sie wurden sich nicht e i nig. Also weckten sie mich aus dem Halbschlaf auf, um meine sachkundige Meinung einzuholen. Ich empfahl der Einfachheit halber den Inder gleich um die Ecke, aber sie argumentierten geschickt, der Italiener zwei Straßen weiter wäre bestimmt besser. Über der Diskussion schlief ich ein. Erst drei Stunden später, als die Tür mit Krach gegen die Wand flog, um den heimkehrenden Sp a niern Platz zu machen, wachte ich wieder auf. Nun aber bestand die berechtigte Hoffnung, sie würden endlich schlafen gehen. So eine Biwaktour durch dir alp i nen Gletscher muß doch anstrengend gewesen sein. Jawohl, sie waren tot müde, gähnten laut und ungeniert. Aber erst mußten sie ihre Rucksäcke packen. Der Rückflug ginge schon ganz früh am Morgen, mahnten sie einander. „Macht alles fertig!“ Sie leerten also die Rucksäcke, packten alle Tüten aus, schauten hinein, kommentierten die Funde, stopften alles wieder zurück in den Rucksack und wiederholten die Prozedur gleich wieder. Ich schlief darüber ein. Der Mensch gewöhnt sich schließlich an alles, außerdem hatte ich meine raffinierte Ei n schlaftechnik. Um drei Uhr dreißig wachte ich erneut auf. Sieben spanische Bergsteiger wälzten sich con gusto hin und her in den Betten und schnarchten unisono . Einer gab den Rhythmus an, stoßweise in seltsamen Grunzlauten. Ein anderer fiel akkurat mit Bas ein. Ein dritter schnalzte genau am Gipfel der To n kurve mit der Zunge. Worauf alle für einen Augenblick still hielten, bis eine der beiden Frauen mit einem epischen Solo in die freudlose Stille rief, während die zweite mit kurzen, spitzen Schreiern den Konterpart übernahm, um gleich darauf zu einem sehr ordinären männlichen Schnarchen überzugehen. Der Refrain mit Grunzen, Schnalzen und Brummen kam wieder, doch in der nächsten dramat i schen Pause raste unter dem geöffneten Fenster ein Auto mit Vollgas vorbei, worauf alle zum ultimativen Crescendo einsetzten, darüber aufwachten und nacheinander auf die Toilette gingen. Ich begann, einen tiefen Respekt für diese Nation zu fühlen. So viel Ruchlosigkeit und Vitalität hätte ich den Spaniern trotz Bürgerkrieg, Franco-Regime, Guardia Civil und Baskenterror wirklich nicht z u getraut.
Am Morgen war ich schon mit dem ersten Sonnestrahl auf. Als Pilger geht man mit den Hühnern ins Bett, schläft fest und tief durch die Nacht, und steht mit den Amseln auf. Währenddessen ruhten die Spanier noch
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