Bis ans Ende der Welt (German Edition)
vorausgabt. Nun herrschte Frieden. Ich stampfte geduldig vorbei an stillen Häusern, den Jakobsmuscheln als Wegweiser folgend. Plötzlich, nach einer kleinen Allee und ein paar Gärten, entließ mich die Stadt, und ich fand mich auf der Landstraße wieder, passierte nur noch ve r einzelt Häuser, Höfe und steinerne Pilgerkreuze, genoß Kühle, Ruhe und Ko n templation unter der toll bemahlten Holzdecke der romanischen Pilgerkirche Saint-Sylvestre. In der Mittagsglut sprang ich dann endlich über den kleinen Bach L’Aranda Rau, der die Grenze nach Frankreich markiert. „Vive la Fra n ce!“ rief ich übermütig in die Runde.
Nun ging es wieder bergauf, erst recht bequem, dann aber immer steiler und ste i ler, bis ich mich fast nur noch kriechend hoch schleppte - keuchend, schwi t zend, brennend. Aber ich klagte nicht. Ich war in Frankreich, eintausend Kil o meter von zu Hause weg, alles zu Fuß, wenn man die frivolen Bootsfahrten nicht mitrechnete. Ich war gerührt, wie man als Pilger immer bereit ist, sich von Rührung und Mitgefühl mittragen zu lassen. Ein kleiner Anlaß reicht schon. Und der Herr, der sich in der Stadt der Krämer nicht blicken ließ, war nun wi e der bei mir und führte mich zu einer kleinen Kapelle am Hang mit einer Einfri e dung hinter der Steinmauer. Es muß irgendwann früher wohl ein Friedhof gew e sen sein, nun aber stand es als duftende Kräuterwiese dem Pilger zur Mittagsrast frei. Dort genoß ich meine letzte Schweizer Mahlzeit mit Brot, Käse und Wa s ser, schloß Frieden mit der Schweiz und den Schweizern und lobte den Tag vor dem Herrn. Und er führte noch zwei Pilger heran, ein ganz junges Pärchen aus Konstanz. Die zwei waren genauso schlecht dran wie ich zuvor, von dem gl ü henden Berg vö l lig ausgelaugt. Ich sah ihre Augen vor Freude funken, als sie das kleine Paradies erblickten, und auch ein bißchen Zweifel darin, ich könnte sie wieder for t schicken. So jung und frisch und lieb naiv, wie sie noch waren, hätten sie sich es wohl gefallen lassen. Wie ich folgten sie dem Camino von Deutschland aus. Nicht aus religiösen Gründen,“ meinte der Junge. „Vielleicht kommt es noch mal,“ setzte das Mädchen nach. Es war offensichtlich, daß es vor allem aus Liebe zu dem Jungen mitging. Sie marschierten einfach der Nase und den Wegze i chen nach, ganz ohne Führer und ohne Karte, im Freien schlafend, mit kaum Geld in der Tasche. Dem Mädchen schmerzten die Knie, es war zie m lich geschafft, aber ich glaube, glücklich. Ich spürte den Herrn ganz i n tensiv präsent und wagte zu beteuern, eine jede Pilgerschaft, aus gleich welchen Grü n den b e gangen, werde Segen bringen. „Es kommt bestimmt,“ behauptete ich, als ob ich dazu ein Recht hätte. Der Herr war ja da, er konnte widerspr e chen. Und doch war ich mir sicher, in seinem Sinne zu reden. Das Mädchen lächelte dan k bar, der Junge brummte verlegen, wie es Jungen eben glauben, tun zu müssen. Ich wäre gerne noch geblieben, noch fühlte ich mich nicht fit, aber ich wollte die zwei nicht stören. Also erhob ich mich steif und schwerfällig, machte mich auf den Weg und bat den Herrn, an meiner Stelle bei ihnen zu we i len. Die Unschuld braucht besonderen Schutz, sie ist so anfällig. Ich plagte mich also weiter ber g aufwärts durch den heißen Nachmittag und wähnte sie erlöst in der Kräuterwiese vor der Kappelleneingang sitzen, über Belangloses reden, ins Tal blicken und im gemeinsamen Sein behaglich wohnen. Kostbare, anmutige Momente, selten g e genwärtig, und doch unvergeßlich, die auf unserem Leben s weg über uns wie Sterne leuchten.
Ich wanderte in guten Gedanken und war fast überrascht, schon so früh am Ziel zu sein. Es war nur ein gemeines Dorf, bloß ein paar Häuser am Hang um die kleine Bergstraße herum. Fast wäre ich achtlos vorbeigelaufen. Das Haus, das die Herberge sein sollte, stand gleich am Anfang. Zumindest stimmte der im Verputz eingearbeitete Name mit der Information im Führer. La Fromagerie. Es ist eines der Geheimnisse der französischen Kultur, warum auch die schnöde Bezeichnung einer Käserei auf der Fassade immer noch romantisch klingt. Mir gefiel es hier. Das alte Haus stand offen und leer, und nach den bisherigen Ma ß stäben kam es mir ungeheuer geräumig und gemütlich vor, obwohl andererseits auch ganz einfach. Meine erste französische Gîte d’étape , eine mit Charme und Charakter. Sie gehörte einer gutgelaunten, noch jungen Frau. Alles anderes als in der Schweiz. Und
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