Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Jungfer im e n gen Chanel-Kostüm, eine Omega-Uhr sei ein Wegwerfprodukt, da sich bei ihr die kleinste Reparatur wirtschaftlich nicht lohnt. Und bestimmt, setzte ich nach, werde ich mir auch keine zweite mehr kaufen. Während das erste Argument l o gisch schlüssig war, stand das andere bereits auf sehr schwachen Füßen, denn wer kauft sich denn gleich zweimal die gleiche Uhr? Und das eine Mal dürfte der Firma eigentlich auch schon reichen - bei dem Preis! Damit habe ich sie b e stimmt nicht erschrocken. Und es war gewiß nicht zu erwarten, daß die G e schäftsführung sich entsetzt, wenn ein vorbeilaufender Pülcher ihr Produkt u n angemessen findet. Wir trennten uns lächelnd freundschaftlich korrekt, wie es in der Schweiz absolut üblich ist, und damit war diese letzte Sache auch erledigt.
Ich passierte noch einmal die Pont de la Tour l’Ille über die Rhône und fühlte mich erleichtert. Große Mengen grünlich sauberen Wassers flossen unter der niedrigen Brücke, und ich starrte wohlwollend in die mächtigen Fluten, stellte mir ihren Weg von dem großartigen Waliser Rhonegletscher bis hierher und dann unbekannterweise noch weitere Hunderte Kilometer durch Frankreich im Geiste vor. Einmal wollte ich diesem Fluß im Boot folgen. Währendessen eilten Passanten an mir vorbei, von ihren holden Tagespflichten angetan. Man ertrug diesen letzten Wochenarbeitstag mit Würde und Antizipation. Der Herr meinte es gut mit der Stadt. So gebe ich euch Regen zur rechten Zeit; die Erde liefert ihren Ertrag, und der Baum des Feldes gibt seine Früchte; die Dreschzeit reicht bei euch bis zur Weinlese und die Weinlese bis zur Aussaat. Ihr eßt euch satt an eurem Brot und wohnt in eurem Land in Sicherheit. [24] Touristen, Diplomaten, Geschäftsleute werden in die Stadt strömen und die Kassen füllen .
Frankreich
Beaumont, km 935
Auf Frankreich habe ich mich teils gefreut, teils aber habe ich mich davor auch gefürchtet. Gefreut, weil mein Schweizer Aufenthalt recht spröde ausfiel, g e fürchtet, weil ich auf meinen bisherigen Reisen durch Frankreich, von denen es eigentlich nicht zu viele gab, oft Ärger hatte. Mit den flic , douanier , agent de p o lice , du magistrat und all den anderen Haderlumpen, wie sie auch offiziell heißen mögen, die zahlreich, immer und überall auf harmlose Reisende lauern, sie schikanieren und abkassieren. Zwischen mir und Frankreich stand auch noch der unverschuldete Autounfall, bei dem meine Freundin schwer verletzt wurde. Und dieser Unfall spielte eine wichtige, wenn auch mir unverständliche Rolle bei der Entscheidung, mich zu verlassen. Aber all das lag schon viele Jahre z u rück, und ich hatte so ein prickelndes Vorgefühl, es könnte diesmal besser we r den.
Den komplizierten Weg durch die Genfer Altstadt habe ich schon den Tag zuvor auskundschaftet. Eine große blaugelbe Keramikmuschel aus dem Jahre 1631 auf dem Place du Bourg-de-Four markierte die Stelle, wo sich bereits im Mittelalter die Jakobspilger zur Weiterreise sammelten. Auf nach Frankreich! Es waren ja nur noch ein paar Kilometer bei gutem Wetter und relativ flach, geradezu eine Kleinigkeit nach all der Schweizer Schmach, ein guter Ausklang. So dachte ich. Doch schon einige Meter weiter überfiel mich ein Durchfall, und keines der u m liegenden Hotels ließ mich die Toilette benützen, obwohl ich so früh am Tage noch adrett aussah. Es sei ein öffentliches WC in der Nähe, hieß es mit der übl i chen Höflichkeit dargebracht, doch bis ich dieses fand, wurde ich ganz blaß um die Kiemen. Es hätte auch tragisch ausgehen können. Danach ging es noch stu n denlang auf hartem Pflaster weiter, durch stille Außenbezirke, mit allen mögl i chen Landesflaggen in den Fenstern dort, wo Ausländer hausten. Ein kleines Gasthaus war geradezu eingehüllt mit tschechischen Fahnen. All das wegen der Fußballmeisterschaft. Am Abend zuvor retteten nämlich ausgerechnet die Russen das Abendland und schlugen die Türken, die sich wohl schon als Sieger wähnten. Wieder einmal die Russen. Nach Hitler, nach Napoleon, schon das dritte Jahrhundert in der Folge, ergossen sie sich über Europa und retteten, was es eben gerade zu retten gab. Auf sie war echt Verlaß. Die wilde Beflaggung aber war der Abschiedsgruß von dem Medienwahn und der Schweiz überhaupt. Es war sehr ruhig, kaum ein Mensch war zu sehen, kaum Autos, keine Hade r lumpen, obwohl die Grenze nahe war. Wahrscheinlich haben sich alle am Abend zuvor physisch und emotionell völlig
Weitere Kostenlose Bücher