Bis ans Ende der Welt (German Edition)
die Gäste mit Bierglas zwischen Tisch und Mund, die Fliegen an der Decke. Eine unangenehme Stille breitete sich aus. Die kannte ich. In so einer Stille klatschen Ohrfeigen besonders laut. Obwohl es wiederum fra g lich schien, warum es uns gerade da passieren sollte. Doch andersrum, zwei he r gelaufene Ausländer wollten ein französisches Bett nicht miteinander teilen. Das war sehr unkooperativ. Ein Frevel gar? Um Harmlosigkeit und guten Willen zu bezeugen, bestellte ich zwei Bier. Besseres fiel mir momentan nicht ein. Aber sie glotzten uns weiterhin nur blöde an. Der Wirt, seine weibliche Doppelhälfte und die Gäste, waren sie vielleicht geistig behindert? Uns wurde nun leicht u n wohl. Bill rutschte nervös auf dem schmierigen Stuhl hin und her und wischte den Schweiß vom Nacken. „By some means weird“ und „faintly scary” stellte er die Situation später dar. Momentan aber schien ihn sein staubtrockener brit i scher Humor nicht trösten zu wollen. Schließlich traten wir den Rückzug an. Vielleicht etwas zu hastig. „Was ist mit dem bestellten Bier?“ fragte der Wirt. Es klang drohend. Ich bezahlte das Bier und trank einen Schluck. Bill ließ seins stehen. Wenn ein Engländer sein Bier stehen läßt, so ist die Lage wohl ernst. Wir gingen. Niemand sprach, kein Wort und auch keinen Gruß, nicht einmal, als wir schon draußen waren, regte sich was. Durch das große staubige Schaufenster glotzten sie uns nach, als ob wir grüne Marsmännchen oder Kinderschänder w ä ren. Echt seltsam. Wir drehten uns noch paarmal um, ob uns die Meute nicht e t wa nachsetzt.
Nun blieb nichts anderes übrig, als im teuersten Etablissement der Stadt Asyl zu suchen. Oder weiterzugehen. Das hätte mindestens noch weitere zehn Kilometer zu den schon absolvierten dreißig bedeutet. Keiner von uns hatte noch Lust d a zu. Also nichts wie ran an die teuere Herberge, wo sich absolut niemand an uns störte. Auch getrennte Betten gab es zuhauf. Der Nachteil war, daß wir wie re i che Engländer behandelt wurden. Ein Page brachte unsere Rucksäcke aufs Zimmer und buckelte umher. „ N’oubliez pas le pourboire , “ mahnte mein Franz ö sischlehrbuch. Echt weit habe ich es als Pilger gebracht, ein livrierter Page trug meinen Rucksack gegen Trinkgeld umher. Um Buße zu tun, machte ich mich gleich an die Wäsche, während Bill ganz ohne Reue die Bar heimsuchte. Als ich wieder zu ihm stieß, hatte er schon einige Drinks intus und machte Pläne zum Dinner. Die Hotelspeisekarte sah appetitlich aus. Leider auch teuer. Also erinnerte ich Bill an den alten englischen Aberglauben, man solle nie in dem Hotel speisen, wo man übernachtet, und statt dessen ein Restaurant, das au s schließlich vom Kochen lebt, aufsuchen. So taten wir dann. Wir wanderten mehrmals durch alle Gassen, waren mit nichts zufrieden und landeten schlie ß lich am Ende uns e rer Geduld in einem recht komfortablen Etablissement, das unserem gehobenen Geschmack zu entsprechen schien. Das war es dann auch. Von der klassischen französischen Küche bislang zu verwöhnt, rechneten wir gar nicht damit, daß es noch etwas anderes geben könnte. Doch ausgerechnet dieses Restaurant hier gehörte zu den innovativen Vertretern der Nouvelle cu i sine , die sich laut Enzyklopädie „durch Leichtigkeit, Reinheit und einfache, u n verfälschte Aromen“ auszeichnet. Leicht war die Mahlzeit schon, weil die Port i on sehr klein ausfiel, und das unverfälschte Aroma bestand im Fehlen jeglichen Gewürzes. Auch Salz fehlte. Das Resultat war ein mickriges Stück zähen, hal b gekochten Fleisches auf einem großen leeren Teller, garniert mit Zitronengras und drei sehr dünnen Scheiben Kartoffel. Als ich später einmal unter Franzosen diese Geschichte e r zählte, lachten sie sich fast krumm, uns aber war gar nicht zu lachen. Wir verli e ßen den Laden enttäuscht und kleinmütig. Bill merkte an, der Wein sei gar nicht so schlecht gewesen. Ich gab ihm recht, der Wein war das Beste an der innovativen Art zu kochen, vorausgesetzt, die Flasche wurde ve r schlossen serviert. Hungrig streunten wir durch die Stadt und landeten schlie ß lich in einer Bar, wo wir versuchten, mit Bier die fehlende Kaloriemenge ausz u gleichen. Das ist uns, glaube ich, schließlich gelungen. Wir waren wohl die ei n zigen Europäer hier, alle anderen waren junge, meist männliche Araber. Maro k ko, Algerien, Tunis. Ausschließlich aus dem französischen Maghreb. Manche tranken Bier, andere schienen sich nur zu
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