Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Die Jura-Alpen waren zu Ende, die Landschaft veränderte sich merklich, auch der Menschenschlag war etwas anders. Den Morgen hatten wir angenehm verbummelt, bevor es weite r ging. Es gab hier auch etwas zu kaufen, was es zu nutzen galt, weil der Camino auf weiten Strecken über Stock und Stein geht, und man überhaupt froh sein kann, einmal am Tag wenigstens eine Baguette kaufen zu können. Das Stange n brot trug ich dann, wie es sich für einen echt französischen Randonneur gehört, in voller Länge quer hinten am Rucksack. Es stimmte den Pilger luftiger, fröhl i cher, und ich glaube, die Zuschauer ebenso. Es ging wieder aufwärts, um knappe vierhundert Höhenmeter an diesem Tag. Das machte sich aber nicht sehr b e merkbar, wir marschierten flott und vergnügt ohne viel zu reden.
Spontan lud ich Bill zum Mittagsessen in einem romantischen Gîte ein, der von zwei attraktiven jungen Frauen und dem Riesenhund Nikolai geführt wurde. Es war eine außergewöhnlich mächtige, zottige und furchterregende Bestie, we s halb ich ihr sogleich den Spitznamen La Bête du Gévaudan verpaßte. Das hist o rische Untier machte sich stets nur an die Frauen heran, Männer ignorierte es. Insofern ergaben Nikolai und die zwei junge Frauen ein interessantes Trio. Das Essen war köstlich, der Wein ebenso. Hier fühlten wir uns wirklich zu Hause, genossen die weibliche Gesellschaft. Sogar Nikolai schien uns zu mögen und ließ sich von uns willig kraulen. Bill verschwendete viel Speicherplatz seiner Digitalkamera, um uns, die Mädels und Nikolai ins rechte Bild zu rücken. Eine Weile spekulierten wir sogar, daß es vielleicht gar nicht so schlecht wäre, an e i nem solchem Ort einfach hängen zu bleiben, und wenn es sein sollte, auch bis ans Ende aller Tage. Bill schien beeindruckt, als ich ihm erzählte, nach dem si e benten Oktober keine Termine und keine Pläne mehr zu haben, da ich nicht wußte, wie diese Reise ausgeht. Es sei nur ein Mann mit Bewegungsdrang, dem England zu klein geworden ist, meinte er bescheiden. Aber das war untertrieben, Bill war ein aufrichtiger Pilger und Wegsucher. In diesem Sinne fiel uns der A b schied von Nikolai und den Mädels nicht leicht. Ich will nur hoffen, daß sie von der Bestie noch nicht verspeist wurden.
In Le Pin, wo eigentlich mein Etappenziel sein sollte, war der Gîte tatsächlich schon besetzt. Es gab kein Bett mehr und keine Alternative vor Ort. Das ist mir erstmals passiert, und leichtsinnigerweise hatte ich keine Reservierung wie Bill. Eine andere Übernachtungsmöglichkeit gäbe es einige Kilometer abseits am Lac de Paladru. Es existierte kein Wanderweg, an der Abzweigung ging ich vor ein i gen Kilometern achtlos vorbei. Jetzt konnte man nur auf einer ausgebauten A s phaltstraße dorthin gelangen, die um diese Zeit von den heimkehrenden Arbeit s pendlern rege befahren wurde. Es war nicht gerade angenehm, und ich versprach mir nichts vom See und schon rein gar nichts von der Pension, und den vorbe i flitzenden Autos hätte ich am liebsten faustgroße Steine nachgeschmissen, wie es die orthodoxen Juden in Israel am Sabbat gerne tun, tat es dann als rech t schaffender Bürger freilich nicht. Ich litt statt dessen still in mich hinein, weil es nichts gab, um den Frust loszuwerden, als solange zu gehen, bis man da war. Aber als ich dann endlich in der Pension ankam und von der Terrasse auf den darunter liegenden tiefblauen See zwischen den Berghängen blickte, da war ich des Umwegs mehr als froh. Es war schlicht und einfach paradiesisch da, schade nur, daß ich mein Segelboot nicht dabei hatte. Am besten aber waren die Wirt s leute, ein älteres Ehepaar, freundlich, gastlich und sehr gesprächig. Die Unte r haltung passierte ausschließlich in Französisch. Niemand hier sprach eine andere Sprache, niemand nahm an, man könnte sich in einer anderen Sprache unterha l ten. Wir dinierten auf der Terrasse vor dem Haus, blicken dabei auf den sich langsam verdunkelnden See und wußten, wie kostbar dieser Augenblick sei. E t liche Menschen, die ich kenne, wohnen sehr komfortabel an wirklich schönen Plätzen, ohne sich dessen so richtig bewußt zu sein. Sie nehmen es einfach hin, als ob es ein käuflich zu erwebendes Recht wäre, etwas, was ihnen von Natur aus zusteht. Hier war dem nicht so, man wußte, was man hatte, und war dem Herrn für jeden Augenblick dankbar. Es erinnerte mich an den alten Mann in e i nem kleinen Ort an der ligurischen Küste unweit von Portovenere, das eigentlich nur aus
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