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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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unterhalten oder spielten Automaten. Sogar ein Tischfußball gab es. Musik und Umgangsprache jedoch waren Fra n zösisch, und es war bestimmt die einzige noch offene Bar in der Stadt. Ein netter Laden, wo viel los war. Es gab darin nur zwei Europäer – uns zwei. Aber ni e mand starrte uns blöde an.
Revel-Tourdan , km 1137
    Wir brachen am Morgen schon früh auf und nur mit einem Glas Orangensaft im Magen. Instinktiv wollten wir weg von hier, und das magere Hotelfrühstück w ä re die verlangten zehn Euro pro Person nicht wert. Wir wollten statt dessen ve r suchen, unterwegs etwas Besseres aufzutreiben. Sollte ich nochmals in diese Stadt kommen, würde ich eine Zeltausrüstung und Eßvorräte mitbringen. Der Aufenthalt kam teuer und war das Geld nicht wert. Das Gewitter, das pünktlich nur zwei Straßen weiter losging, paßte voll dazu. Nichts wie weg! Wir ma r schierten verbissen, ohne viel zu reden. Es ging rechts und links, rauf und runter, der Weg war kompliziert. Langsam regnete es sich ein. Bald waren wieder alle Bäume durchgeregnet, Schuhe und Unterhosen durchnäßt, die Kälte kroch in die Knochen. Wieder dachte ich daran abzubrechen, aber welchen Sinn hätte es, in einem verlassenen Kaff hängen zu bleiben, nur weil es regnete. Das hätte mir nur den Tag vermiest. Sowieso sah es so aus, als ob es nie aufhören würde. Und doch war es nur ein Vorbote. Um Mittag kam ein neues Gewitter, Blitze schl u gen in die umliegenden Hügel ein. Und über uns summten armdicke Hochspa n nungsdrähte. Sie kamen von einem Atomkraftwerk im Tal der Rhône vor uns. Sie hingen schwer und tief über den Hügeln. Man hätte denken können, sie wü r den unter der eigenen Last brechen. Es fiel dichter Regen, und es war nicht b e ruhigend, keine zwanzig Meter über dem Kopf eine Million Volt rauschen zu hören. Manchmal konnte man Blitze zuckend über die Drähte fahren sehen. Es war irgendwie unirdisch, und der Herr ging ein Stück mit, damit ich mich nicht zu sehr fürchte. Bill ging vor und merkte wohl nichts davon. Ich sah nur seine verschlammten Schuhsolen auf- und niedergehen. Er bahnte eine Gasse durch den Regen und drehte sich nur alle paar Kilometer einmal um, um eine witzige Bemerkung zu machen. Es gibt Menschen, die meinen, das Wandern wäre ein Lustwandern und bestünde aus Pausen, Essen, Trinken, Rauchen und Unterha l tung. Das sind vermutlich irgendwelche Mitteleuropäer mit Flausen im Kopf, bestimmt keine Briten. Der Brite läuft und läuft und läuft wie aufgezogen. Vier Stunden lang. Dann macht er fünfzehn Minuten Pause und geht weiter. Sein Tempo ist am Ende genauso wie am Anfang. Schlechtes Wetter kennt er nicht, nur schlechte Kleidung, die dem Wetter nicht standhält. In diesem Sinne ve r zichteten wir auf das Mittagessen, es gab schlicht keinen Platz, wo man es ei n nehmen könnte.
    Am Ende erreichten wir unser Tagesziel wohl viel zu früh. Der Gîte lag in e i nem kleinen Bergdorf, das einige Mühe hatte, nicht von der Bergflanke ins Tal hinunter zu rutschen. Es schien sich unter dem Regen buchstäblich zu ducken. Laut Führer lebten hier neunhundert Menschen, aber keiner wagte sich hinaus. Die Herberge war verschlossen. Sie schien gleichzeitig als Dorfkneipe zu di e nen. Auf der Terrasse vergammelte eine nasse Bar, und das Leergut fühlte sich langsam mit Wasser. Ein desolater Anblick. Es gab auch noch ein Lebensmitte l geschäft um die Ecke, das von Bill erkundet wurde, doch war es wegen der Si e sta ebenfalls geschlossen. Es blieb nichts anderes übrig, als zu warten. Auf der Terrasse nahmen wir Platz in Plastikstühlen und ließen auf uns einregnen. Man gewöhnt sich an alles. Als nach einer Stunde der Wirt kam, wollte ich nicht mehr aufstehen, blieb weiter draußen sitzen und starrte vor mich hin. Naß war ich schon - und müde. Am Ende mußte mich Bill holen. Als ich dann aber heiß geduscht ins Zimmer zurückkehrte, kam der Regen draußen so dicht, wie es mir im Leben noch nie vorkam. Nicht einmal während der Monsunzeit auf Ceylon. Es war die wahre Sintflut. Das Wasser bildete eine geschlossene Wand, man sah das Haus auf der anderen Straßenseite nicht mehr. Dort schlug gerade ein Blitz ein und schleuderte ein paar Schieferplatten vom Dach. Es hörte sich an, als ob einem die Knochen im Leib bersten würden. Die Fenster konnten die Flut nicht mehr abhalten. Das Wasser kam durch die Ritzen ins Haus, floß fröhlich die Holztreppe hinunter und dann unter der Eingangstür wieder auf die Straße, wo ein

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