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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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einer zwischen zwei Felsen steil ins Meer abfallenden Straße und ein paar Häusern bestand. Ganz aufgeregt lief der fidele Alte auf dem tief geleg e nen, in den Felsen gehauenen Aussichtspfad hin und her, deutete auf das präc h tig ei n brechende Meer und rief: „Was für eine Freude, was für eine Schönheit, was für ein Glück!“ Dabei nahm er mich zart an der Hand, damit ich auch b e stimmt das sehe, was er sah, und was ihn so bewegte, daß er es unbedingt mit den anderen teilen mußte.
La C ô te-St-André, km 1116
    In der Nacht stand ich noch einmal auf, sah den Himmel, und wie er sich fli m mernd im See spiegelte, bis mich die Vernunft wieder ins Bett trieb. In so einer Nacht malte Van Gogh das Bild Sterne über der Rhône . Und die Schönheit der Schöpfung erstreckte sich noch über das Frühstück auf der Terrasse hinaus auf die ersten zehn Kilometer Weges mit dem malerischen Seepanorama im Blick. Im Hintergrund erhob sich die Chartreuse-Steilwand. Dann aber wurde es heiß und fad. Ich traf wieder auf Bill, und wir kämpften uns mühsam weiter. Wir schwitzten heftig, und die Fliegen fraßen uns auf. Ihr gutes Recht, nehme ich an. Eine neue Gewitterfront war wohl im Aufzug. Zum Mittag erreichten wir Le Grand Lemps, kauften Lebensmittel ein und machten auf dem Friedhof eine ausgiebige Pause. Manche Friedhöfe sind echt romantische Plätze. Der hier war aber nicht so toll. Keinen Baum gab es, keine Farbe, nur nackte graue Steine. Aber es war hier eine recht geschäftige Stadt, und der Friedhof war vermutlich der einzige ruhige Ort. Bill spendierte zu diesem Zweck - völlig überflüssig - e i ne Flasche Weißwein, so saßen wir wie zwei Saufbrüder auf der Bank vor dem Leichenhaus und tranken gelassen. In den Vereinigten Staaten hätte man uns vermutlich deshalb verhaftet. Die Wiege der Freiheit. Ich machte Bill auf diesen Umstand aufmerksam, und wir lobten Frankreich und spotteten Amerika. Von hier reservierten wir telefonisch die Übernachtung in La Côte-St-André . Auf keinen Fall wollte ich noch einmal wegen Überfüllung weitergehen müssen.
    Dies war schon die zweite richtige Stadt an einem einzigen Tag. Auf dem Cam i no ist ein Ort mit fünftausend Einwohnern schon eine Stadt zu nennen. Inmitten grüner Hügel, durch die zu marschieren, recht angenehm war, machte sie z u nächst keinen schlechten Eindruck. Es gab zwei Kirchen, ein Schloß, das G e burtshaus des Komponisten Hector Berlioz, ein Schokoladenp a radies und ein Schnapsmuseum. Aber das war uns eigentlich gleich, praktische Dinge lagen näher. Zum Beispiel, daß es keinen Gîte gab, sondern nur Hotels. So etwas war immer mit Geldausgaben verbunden, und die Qualität war keineswegs gara n tiert. Für sechzig Euro konnte man komfortabel übernachten, wir aber wählten die frugale Pilgerklasse. Diese dachten wir, dann kulinarisch aufzuwerten. Ganz auf die britische Art und literarisch bezeugt. Ob Walter Scott, ob Charles D i ckens, ob Lewis Caroll oder J. K. Rowling, nimmermüde sitzt der Engländer zu Tisch gern und lange. Alle Gänge, alle Getränke werden einzeln geschildert und passend gewürdigt. Dabei ist die englische Küche eher etwas für robuste N a turen. Die Franzosen dagegen, obwohl kulinarisch weltberühmt, g e nießen schweigend.
    Wir erreichten unser Tagesziel zu guter Stunde und in Erwartung wohltuender Dinge. Einem schönen Abend schien nichts im Wege zu stehen. Eigentlich nicht. Das Hotel machte von Außen keinen besonders gastlichen Eindruck. „E i ne richtige Absteige,“ stand auf Bills Gesicht geschrieben. Ich widersprach nicht. Drinnen war es eng und schmutzig, eigentliche Rezeption gab es nicht. Die Besitzer fanden wir aber im Ausschank. Vielleicht haben wir sie gestört. Sie hüpften nicht vor Freude über die Kundschaft, und ihre Gesichter blieben hart und verschlossen. Wir gefielen ihnen nicht. Doch auf die Reservierung hin w a ren sie bereit, uns ein französisches Doppelbett zu überlassen. Sie erwarteten selbstverständlich Dankbarkeit für das Lager und taten überrascht, daß wir kein gemeinsames Bett wünschten. Das sei unüblich, wir hätten ja sonst ausdrücklich zwei Betten verlangen müssen, nun sei nichts anderes frei. Danach starten sie uns einfach blöde an, als ob damit alles gesagt worden und jede Antwort unse r seits überflüssig wäre. Die wenigen anwesenden Gäste gafften ähnlich hölzern, dabei aber doch irgendwie feindselig. Alles erstarrte. Der fette Wirt mit Geschirr und Tuch in der Hand,

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