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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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Ich aber hatte noch nicht genug und ließ es links liegen, dann auch das Camping des Nations in St-Alban-du-Rhône , wo ich ebenfalls hätte übernachten können. Der Name versprach sowieso nur Streß und Hektik, und ich hätte noch einige Kilometer auf der belebten Nationalstraße marschieren müssen. Ein kompletter Unsinn.
    Nun war auch der Weg am Kraftwerk vorbei auf das andere Flußufer nicht ger a de ein Honiglecken. Wenn so eine große Anlage gebaut wird, gestaltet man g e wöhnlich die ganze Gegend neu, macht Hügel platt, das Krumme gerade und b e toniert, was sich betonieren läßt. Mit Fußgänger rechnet man nicht dabei, Bäume wären auch nur überflüssiges Holz. Mir blieb nur das Marschieren auf endlosen Straßen ohne Schatten. Ausgerechnet für diese Zeitspanne haben sich nämlich die Wolken verziehen, und die Sonne stach bösartig auf mich ein. Auf der Brü c ke gab es überhaupt keinen Gehweg, und die Autos sausten mit hundert Kilom e ter oft nur wenige Zentimeter an mir vorbei. Manche der Fahrer fühlten sich o f fenbar durch den frechen Fußgänger im Fortkommen behindert und hupten he f tig. Als ob ich das noch gebraucht hätte. Es war eine sehr lange Brücke, die sich über das ganze potentielle Überschwemmungsgebiet spannte. Bis ich sie endlich passierte, war ich mit meiner Geduld ziemlich am Ende und beschloß, wieder zu Hause, keinen überflüssigen Meter mehr mit dem Auto zu fahren. In der Schule wurde uns immer die Erfindung des Rades als die größte Errunge n schaft der Menschheit angepriesen. Aber es war wohl nur ein Teil der allgemeinen G e hirnwäsche oder die Einschätzung von Kleingeistern. In Wirklichkeit war es wohl die blödeste Erfindung, die es hätte überhaupt je geben können, und die der Menschheit seit eh und je nur Verdruß brachte. Mobilität, Versorgung, B e wegungsfreiheit, es sind doch nur die Trostpflaster auf einer hirnrissigen Infr a struktur und verfehlten Gesellschaftspolitik. Eines Tages werden die Megastädte und das sinnlose hin und her Sausen ein Ende nehmen. Nur eine kleine Störung im System, dann werden Gras und Bäume durch den Beton wachsen und der Spuck wird vergehen. Oder der Mensch findet einen Weg, mit der Technik im Einklang mit seiner göttlichen Herkunft und der daraus wachsenden Verpflic h tung zu leben und die Natur nicht zu mißbrauchen. Wer weiß.
    Es war mir jedenfalls klar, daß ich an diesem Tag über Chavanay wohl nicht h i nauskommen werde. Trotz des kaputten Atommeilers. Das Städtchen liegt gleich gegenüber am anderen Rhône-Ufer mitten im steilen Weinberg. Etwa zweieinhalbtausend Menschen leben hier. Schon vor dem Bau des Atommeilers muß es ein verschlafenes Nest gewesen zu sein, das ein bescheidenes Dasein führte. Jetzt lag es staubig und leicht verwahrlost vor mir. Menschen waren se l ten, fahrende Autos aber zuhauf zu sehen. Keine der im Führer gelisteten Übe r nachtungsstellen war telefonisch zu erreichen. Verschlafen war das wahre Wort. Also landete ich schließlich in einem verwahrlosten Hotel an der Hauptstraße. Die Ruine hätte eigentlich gut in eine gleichwertige ukrainische oder rumänische Stadt gepaßt. Die Zimmereinrichtung bestand aus drei unterschiedlichen, doch völlig unbrauchbaren Betten in verschiedenen Höhen von dreißig bis hundert Zentimetern über dem schmutzigen Boden, einem zugemauerten Kamin und zwei Wandschränken mit verstaubten Gläsern und viel Mäusedreck darin. Ich fragte den Wirt nach dem Kraftwerk. „Was soll denn damit sein?“ fragte er ve r wundert zurück. Ich erklärte also, daß kein Dampf aus den Kühltürmen steigt und somit ein Störfall vorliegen muß. „Das ist mir noch nicht aufgefallen,“ war die sinnige Antwort. Er war offenbar nicht ernsthaft beunruhigt. Vorbehalte g e gen die Atomkraft schienen Franzosen sowieso nicht zu haben, nicht einmal hier, direkt an der Quelle. Die Diskussion war zu Ende, bevor sie begonnen ha t te. Also bestellte ich ein Bier, für das ich später radioaktive sieben Euro zu za h len hatte. Ein Weißbier, meinte der Wirt, koste eben etwas mehr. Später, nach meiner Heimkehr, erfuhr ich aus einem Bericht der Tageszeitung Le Figa r o , daß an diesem Tag bei Inspektionsarbeiten im AKW 15 externe Mitarbeiter radioa k tiv kontaminiert wurden. Aber keine Sorge. Der Betreiber der Anlage teilte mit, die Fachleute, die zu Wartungsarbeiten gekommen waren, seien "nur leicht" durch radioaktive Strahlen belastet worden, die keine gesundheitlichen Folgen hätten. Die

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