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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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ging es eine ganze Weile, und wir führten ihn allmählich heraus aus der Wildnis. Als wir uns dem ersten Gehöft näherten, wurde er sichtlich unruhig. Wir mußten mitten durch, und drinnen hallte unmißverständlich das wütende Kläffen des wohlversorgten kollegialen Haushüters. Abwartend ließ er uns in den Gefahrenbereich treten und folgte erst nach, als er uns unversehrt passieren sah. Das wiederholte sich noch ein paar mal, dann wurde er sicherer und manchmal sogar ganz keck. Ich bin auf dem Camino schon vielen Haus- und Hofkötern begegnet und konnte mich, mit dem Pilgerstab gerüstet, wohl jedem von ihnen entgegenstellen. Auf meiner Seite war er also ganz recht sicher. Trotzdem wagte er keinen Laut, egal wie herausfordernd das Gebelle hinter der Pforte war. Selbst bellen konnte er vielleicht gar nicht, er tat es kein einziges Mal, aber da hielt er richtig den Atem an. Schon war im Tal vor uns Montfaucon zu sehen, und wir fragten uns, ob ihn nicht da eine mitleidige Seele aufnehmen könnte. Oder erschießen? So wie er aussah, hätte man ihn nicht auf der Straße frei laufen lassen. Es hätte Panik au s lösen können. Doch draußen im Wald hätte er den Winter auch nicht übersta n den. Nicht mit dem halben Gebiß. Schon jetzt konnte man seine Rippen einzeln zählen. Erleichtert betraten wir den letzten Hof, den Hund dicht auf den Fersen. Als wir auf der andern Seite herauskamen, war er weg. Wir sahen ihn nicht wi e der, wir sahen ihn auch nicht zurück laufen.
    Montfaucon-en-Velay listete der Führer als ein mögliches Etappenziel mit Übernachtungs möglichkeit. Mit etwa zwölfhundert Einwohnern war es geradezu riesig. Es hatte absolut alles, was einem viel größeren Ort auch zustehen würde, sogar einen eigenen Bahnhof, und hob sich kraß von der Einöde ringsum ab. Wir sind da pünktlich um zwölf Uhr Mittag angelangt und stießen in einem Straßenrestaurant gleich auf Jörg, der schon ungeduldig auf das bestellte Essen wartete. Er wollte schneller laufen, um früher nach Hause zu fahren und seiner Frau bei der geplanten Knieoperation beizustehen, erzählte er. Vermutlich war es nur eine Ausrede. Über längere Strecken war mit Beeilung nicht viel rausz u holen. Auf die Stetigkeit und Ausdauer kam es an. Aber das tat der Unterhaltung keinen Abbruch. Zwei Stunden mitten am Tag, statt unterwegs mit Rucksack auf dem Rücken zu strampeln, im Gespräch bei Wein und Käse verbracht, waren ein Luxus. Doch sie hatten einen Preis. Als ich dann endlich aufbrach, war der Gîte bereits geschlossen, und während wir die Zeit mit Stadtbesichtigung vertrödelten und draußen auf die Wirtin warteten, telefonisch von anderen ausgebucht. Es war ein recht origineller Neubau aus Holz und Glas mit großer Gemeinschaft s küche und einem Aufenthaltsraum. Hier hätten wir gut kochen und feiern kö n nen, zumal es in der Stadt alles Nötige zu kaufen gab. Eine einmalige Konstell a tion. So mußten wir noch acht Kilometer weiter ziehen, was wir etwas mürrisch taten. Ich versüßte mir den Verlust mit dem Besuch einer Ausstellung von zwölf Tafeln des Flamen Abel Grimmel aus dem Jahre 1592, den es hierher wegen der Pest verschlug. Die Chapelle Notre-Dame , welche selbst aus dem 12. Jahrhu n dert stammte, lag ja sowieso direkt auf dem Camino. Rebekka hatte kein Intere s se an dem alten Schnickschnack und ging einfach voraus. Ich aber freute mich aufrichtig darüber, so wie ich mich über den schönen Pilgerstempel von der Stadtpfarrei freute. Zwei schöne alte Kirchen, eine Bildausstellung besichtigt, einen Stadtbummel ohne Gepäck unternommen und zwei Stunden in der Kneipe verbracht war eine gute Tagesleistung. Und wir konnten endlich wieder Vorräte bunkern.
    Der Weg entlang der Bahnschienen und später am Flüßchen Lignon erwies sich als abwechslungsreif und romantisch. Die Bahnstrecke wird nur noch von einem historischen Bummelzug befahren und der Touristen wegen im Originalzustand belassen. Anfangs mußten wir noch einige Straßen passieren, Bahngleise queren und komplizierte Hacken schlagen, aber alles war bestens beschildert. Nun kam endlich auch die Sonne durch die Wolken zu uns, es wurde angenehm warm. Bald hüpften Hasen auf dem Weg herum und zeigten kaum Scheu vor den Pi l gern. Wahrscheinlich wußten sie über ihre Harmlosigkeit längst Bescheid. Ich bereitete mich im Geiste auf die Ankunft in Le Puy vor. Heute konnte ich g e genüber der Einteilung im Führer wieder eine halbe Tagesetappe hamstern. In s gesamt lag

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