Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Karl May, der in jungen Jahren wegen Unterschl a gung bei Brot und Wasser im Knast saß, tat so, und kaum ein Kapitel seiner Abenteuerbücher kommt ohne die mit tiefhängenden Würsten und Schinken g e füllte Speisekammer oder wenigstens eine über dem Feuer gebratene Bärentatze aus. Da soll sich der Leser nicht wundern, wenn ich – wie Karl May oder die b e reits erwähnten englischen Klassiker – ständig vom Essen rede. Manchmal, wenn ich so an dem Jungvieh auf der Heide vorbeizog, und die Kälber mich mit ihren großen wissenden Augen traurig ansahen, da hatte ich fast das Gefühl, sie würden mich wegen meines leeren Magens tief bedauern. Ich segnete sie für ihr Mitgefühl. Dabei haben wir erst am Vorabend gut und reichlich gespeist und am Morgen noch einkaufen können. Sogar unterwegs ergatterte ich auf einem Ca m pingplatz, an dem wir vorbei liefen, noch eine Tüte Milch und ein paar köstliche Croissant. Jörg saß schon da, trank ein bitteres Pils und sah nach wie vor traurig aus. Während ich bei Milch und Croissant richtig auflebte, daß ich fast hätte l a chen und singen können, was ihn wohl noch trauriger stimmte.
Oben, aus den Wäldern und Schluchten des Nationalparks kommend, fanden wir uns jäh in einer ganz anderen Landschaft wieder. Ein verstepptes, von karger Landwirtschaft sparsam genütztes Hochplateau erstreckte sich, soweit das Auge reichte, in langen, grünen Wellen bis zum Himmelrand. Um die tausend Meter über dem Meer schritten wir nun an uralten, mit Moos bewachsenen Wegkre u zen vorbei. Ich hatte wieder eine neue große Blase und humpelte ein wenig. Vorbei war es mit der Schwarzwaldromantik, etwas Melancholisches, ja Herbs t liches lag plötzlich in der Luft, obwohl es eigentlich doch Hochsommer war. Die Temperatur sank, die Luftfeuchtigkeit stieg. Auf dem Wasser galt das als Vo r bote einer Sturmfront, hier vielleicht auch. Das Wetter war instabil. Die Dörfer und Gehöfte, aufgeschichtet aus grau-braunem Bruchgestein, machten einen ärmlichen Eindruck. Überall lagen frische Kuhfladen, wo das Vieh für die Nacht nach Hause getrieben wurde. Man lebte von Rind und Schaf, die Felder gaben nicht viel her, an so etwas wie die Weinrebe war gar nicht zu denken. Bestimmt trieben sich hier am Rande des Nationalparks auch Wölfe herum. Den Menschen stand die harte Arbeit in Hände und Gesichter geschrieben. „Wären nicht die Sat-Schüsseln, käme man sich in Les Sétoux vor wie im Mittelalter,“ schrieb der Führer. Es stimmt, nur die Schüsseln sind mir gar nicht aufgefallen. Der Ort stammt immerhin aus dem 13. Jahrhundert. Aber die Herberge ist modern, sa u ber und geräumig, die Wirtin freundlich und rege. Ich fand gar einen Kamin, wo ich alsbald ein nettes Feuer entfachte. Die anderen waren, so schien es mir, über die Eigeninitiative etwas verlegen, was ich nicht ganz verstand. Nur deswegen, weil nicht die Wirtin en personne das Feuer legte, sollte man sich das kleine, harmlose und darüber hinaus praktische Vergnügen versagen? Monate voller Strapazen lagen noch vor mir, wo würde ich wieder Wärme und Gemütlichkeit finden? Es galt, die Gelegenheit zu nützen. Ich saß vor dem Kamin, sah genieß e risch dem Spiel der Flammen zu und schrieb am Tagebuch, während sich die anderen draußen in der Kälte herumtrieben. Ich bewunderte ihre konsequente Selbstdisziplin.
Alle zusammen gingen wir später in das Dorfrestaurant von Marcelle Payrard zum Abendessen. Die Holzstühle und Trophäenvitrinen an der Wand erinnerten mich an die deutsche Vereinskneipe. Doch war das Essen ordentlich, wenn auch vielleicht ein bißchen weniger üppig als an manchen der reicheren Orte. Freilich waren auch hier vier Gänge und eine Karaffe Rotwein obligatorisch. Keiner ging hungrig oder gar durstig ins Bett, und am nächsten Morgen versor g ten uns die freundlichen Leute mit Brot für die Weiterreise. Es gab nämlich wi e der einmal keinen Laden, um für den Tag einzukaufen.
La Papeterie , km 1245
Da wir nun gestern den Gebirgskamm überschritten, ging es nun auf dem Hoc h plateau im abwechslungsreichen Gelände relativ moderat zu. Es war nicht sehr warm, der Himmel graute die meiste Zeit, doch der Regen blieb aus. Ich genoß weiterhin die Gesellschaft der kleinen Schweizerin, die tüchtig ausschritt, so daß ich das gewohnte Tempo nicht ändern mußte. Sie war eine gute, unkomplizierte Seele, hatte aber ihren Willen und feste Grundsätze. Die Stimmung in der Lan d schaft pendelte zwischen romantisch,
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