Bis ans Ende der Welt (German Edition)
brechen. Wenn ich aber in Socken durch Schlamm und Pfützen waten mußte, dann war es eben so. Bis die in der Sandale ungestützten Gelenke zu wackeln begannen oder die Wege unb e gehbar wurden, konnte die Wunde heilen. Jede einzelne Stunde zählte. Die Zehe habe ich desinfiziert, mit Salbe versorgt und dick bandagiert. Ich war gerüstet.
Am Ende war es dann nicht so schlimm. Das Wetter hielt vorläufig noch, und der Camino folgte meist den kleinen, verlassenen Asphaltstraßen, für die meine billigen Sandalen wie geschaffen waren. Ich marschierte fast schmerzfrei, nur halt etwas langsamer. Die kurzbeinige Rebekka war bestimmt nicht böse da r über, verlor sie doch mit dem fortschreitenden Tag immer mehr an Elan. Der Camino kletterte bis auf dreizehnhundert Meter hoch, bis dahin wohl den höc h sten Punkt meiner Pilgerreise. Die Sichten in tiefe, weite Täler und auf die fe r nen Vulkankegel waren rundweg spektakulär. Insbesondere, da die Witterung eben nicht nur nett und niedlich war. Erst der Himmel rundete das Bild ab, ve r lieh der Berglandschaft an Volumen und Plastizität. Ein tiefer, weiter Raum tat sich vor uns auf. Weiße und graue Wolken, silberne Regenschleier und das Himmelblau wetteiferten alle zugleich um die Gunst des Zuschauers. Man kon n te den Wind über dem Kamm halten sehen, dann fortfahren. Blau und Grün l a gen in allen Schattierungen neben- und übereinander. Wir waren mit allen Si n nen gut damit beschäftigt, all dies wahrzunehmen und nichts auszulassen.
Später aber geriet alles in Flucht und Aufruhr vor dem herannahenden Wahn in unserem Rücken. Immer wieder ballten sich tiefschwarze Wolken zusammen, und immer wieder wurden sie vom Wind auseinandergetrieben und verjagt. Sp ä testens dann, als wir schon vor Queyrières standen, sah es aus, als ob es nun doch mit aller Kraft losgehen sollte. Plötzlich wurde es dunkel wie in der Nacht, der Wind, noch unentschlossen, wohin er wollte, schob uns buchstäblich hin und her wie zwei Schachfiguren. Der Herr flog mit den Elementen auf, als ob er nicht wiederstehen könnte, fegte über den Himmel und die Berge, strich mit dem Arm die Hänge glatt, bog Büsche, Gras und Bäume um, eine Handvoll Blitze warf er ins Tal, einen ließ er in der Basaltorgel von Queyrières eingerammt st e hen. Ich wollte mich beeilen, Sicherheit suchen, da ich in den Bergen schon üble Gewitter erlebte und in unserer exponierten Lage Schlimmes befürchtete. Auch war das Dorf zum Greifen nah. Doch Rebekka war am Ende ihrer Kräfte. Lieber hätte sie sich vom Blitz erschlagen lassen, als jetzt noch zu laufen. So gab ich auf, da ich sie nicht allein zurücklassen konnte, wollte. Vielleicht lernte man in Wallis nicht, ums Leben zu rennen. Und der Herr sah auf unsere Demut und hielt an, und alles erstarrte in unheimlicher Stille und Dämmerung. Und so z o gen wir ins Dorf hinein, als ob da nichts mehr wäre, als ein sanfter, hellblauer Abend mit rosa Goldrand.
Dann aber mußten wir wieder zurück und aus dem Dorf hinaus, denn das kleine Chambre et table d’hôtes lag draußen im Grünen. Und gerade als wir im Begriff waren, in die Einfahrt einzubiegen, tauchte ein Wagen mit Touristen auf, die wohl überall in der Gegend hätten Unterkunft suchen können, es aber vorzogen, uns die letzten freien Zimmer vor den Nase wegzunehmen. Ihren Mienen nach zu urteilen, fanden sie gar Spaß daran. Alles flehen und betteln half nicht, auch nicht der Hinweis auf den baldigen Weltuntergang, und wir machten uns auf den Weg zu einem obskuren Gîte, der irgendwo da oben in einem Seitental tout sûr sein sollte, und zu dem uns eine äußerst knappe Wegbeschreibung von zwei, drei Sätzen führte. Und so zogen wir in der unheimlichen Dämmerung und Stille noch einmal anderthalb Stunden weiter hinauf in die Berge, weg von dem C a mino. Und der Herr hielt die ganze Zeit das Unwetter ab und ließ es nicht eher losgehen, als daß wir nach Irrwegen ganz sicher in dem gemütlich restaurierten alten Bauernhaus saßen und die Katastrophe draußen warm und trocken durch die Glasscheibe ausführlich betrachten konnten. An Eßbaren fand ich in meinem Rucksack ein Stück von einer Baguette, das ich aus irgendwelchem Grunde b e reits seit fünf Tagen mit mir trug, einen Würfel Gemüsesuppe und ein paar Ke k se. Rebekka steuerte zwei von insgesamt vier Tütchen Capuccino bei. Die and e ren zwei sollten zum Frühstück aufgespart werden. Und in der Küche fand ich zwei winzige Fläschlein Weißwein, die
Weitere Kostenlose Bücher