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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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ich schon fünf Tage vor dem Plan. Nicht, daß mir daran gelegen w ä re, schneller anzukommen. Dazu lag das Ziel noch völlig außerhalb des Hor i zontes. Aber ich rechnete mit künftigen Hindernissen. In meiner Zeiteinteilung waren zum Beispiel überhaupt keine Ruhepausen mit einbezogen. Doch ab und zu, alle paar hundert Kilometer zumindest, mußte man eine machen. Die ko n templative Wirkung des Camino nutzte sich sonst ab. Man versachlichte, ging achtlos an Kirchen und Kreuzen vorbei, verlor sich in weltlichen Sorgen. Ich spürte auch rein körperlich die Strapazen. Zumindest alle fünfhundert Kilometer sollte man ausruhen. So hoffte ich inständig, etwas verweilen zu können und d a durch neue Kräfte zu sammeln. Es war die geistige Quelle, an die ich mich legen wollte, und ich zählte schon seit einer ganzen Weile die Tage.
    Zweimal schon wiesen handgemalte Wegschilder auf einen Gîte mit dem e i genwilligen Namen Petite Papeterie hin. Immer in eine andere Richtung abseits des Camino. Bis urplötzlich, als wir gerade einen steilen Abhang zum Fluß nahmen, die alte, nun zur Wanderherberge umfunktionierte Papiermühle links vor uns lag. Romantisch und gemütlich an einem sauberen Bach, mit grüner Wiese davor. Und wie schon so häufig, offen und verlassen. Nur ein kleiner fa r biger Zettel wies die Pèlerin und Randonneur an, sich telefonisch anzumelden. Das Haus trug etwas von dem verlorenen Charme des Fin de Siècle, stammte aber in Wirklichkeit schon aus dem Jahre 1645. Drinnen standen uns drei große Räume zur Verfügung, die sich durch französische Fenster zum Bach und Wiese öffneten. Zum Schlafen waren hinten kuriose Holzverschläge mit Pritschen b e stimmt, der Bereich davor diente als Aufenthaltsraum und Küche mit allem sinnvollen Geschirr und Ingredienzien und ein paar Grundnahrungsmitteln. Das meiste davon ließen die Pilger selbst zurück, um sich mit unpraktischen, gerä u migen und riskanten Dingen nicht abschleppen zu müssen. Wer etwa möchte e i ne angebrochene Flasche Öl im Rucksack mittragen? Also war Öl meist überall vorhanden. Nur verlassen konnte man sich nicht darauf. Ich packte die Gelege n heit beim Schopf und kochte uns ein scharfes ungarisches Letscho, das von R e bekka tolerant aufgenommen wurde. Gemüse, Wein, Käse, Baguette und noch vieles mehr brachte ich aus Montfaucon auf dem Rücken mit. Ich kaufte nur deshalb so großzügig ein, weil ich zur Einkaufszeit noch nichts von einer We i terreise ahnte. Nun kam zur guten Mahlzeit auch die Vorfreude auf das leichtere Gepäck. Wegen böswilliger, pilgerverachtender Moskitos, die mit dem Sonne n untergang zur Jagd bliesen, gingen wir früh ins Bett.
    Jeder von uns suchte sich einen eigenen Verschlag und hatte damit sozusagen ein Zimmer für sich. Ich freute mich über diesen kleinen Luxus, weil ich mich nach wie vor nur schwer auf das kollektive Nachtlager gewöhnen konnte. Hä u fig wachte ich auf, wenn jemand von den anderen auf die Toilette schlich, und häufig weckte ich andere durch meine eigene Unruhe auf. Beides war mir natü r lich nicht recht. Der französische Gîte d’étape ist eine sinnvolle Einrichtung, aber kein Luxushotel. Nun hatte ich gute Aussichten auf angenehme Nachtruhe, aber es wurde nichts daraus. Mitten in der Nacht weckte mich ein wütendes P o chen und Nagen in der Zehe, das auf nichts Gutes hindeutete. Die Zehe war ganz entzündet und schillerte in allen Farben. Ich versuchte, mit der Nagelschere die tiefliegende Blase, die mich seit Les Setoux quälte, aufzustechen, aber nur mit eher mäßigem Erfolg. Es kam zwar Blut mit Wasser heraus, aber die schmerzl i che Operation brachte nicht die erhoffte Linderung. Vielleicht lag noch eine zweite Blase darunter. Mit einer kaum sterilen Nagelschere bei schlechtem Licht im nackten Fleisch zu stochern, ist wohl nicht empfehlenswert, und ich war mir der möglichen Gefahr durchaus bewußt. Umgekehrt kann so ein eingeschloss e ner Eiterherd nahe am Knochen noch schlimmere Folgen haben. Die Angst vor Brand und die Schmerzen ließen mich den Rest der Nacht nicht mehr so recht schlafen.
Queyrières , km 1272
    Erst gegen Morgen beruhigte sich der Körper, die Zehe schwoll etwas ab, die Angst wich. In den Sandalen konnte ich den Weg vorläufig fortsetzen. Eine he r annahende Wetterfront und möglicherweise steinige Wege komplizierten zwar die Lage ein wenig, aber mit beiden hatte ich schon Erfahrung. Im wesentlichen ging es darum, sich keine Zehe an einem Stein zu

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