Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
Vom Netzwerk:
desolat und verwunschen. Ein großer Wald verschluckte uns für eine ganze Weile, dann war es wieder die Heide. Die Gegend war dünn besiedelt, immer wieder fielen verlassene und verfallene Hä u ser auf. Nur zwei, drei Dörflein lagen am Weg. Alles war aus dem archaischen graubraunen Basaltgestein gebaut, das so typisch für die Gegend ist. Das Velay ist vulkanischen Ursprungs und liegt zwischen den Flüssen Loire im Norden und Allier im Süden. Es gehört zu der Provinz Haute-Loire . Der Nationalpark ist wohl die Wasserscheide. Das meiste sichtbare Menschenwerk schien aus dem frühen Mittelalter zu stammen. 12. bis 13. Jahrhundert, wußte der Führer gena u er zu berichten. Sogar die Wälder schienen jünger zu sein. Früher war hier wohl alles nur öde Heide. Die Landwirtschaft war nicht vieler Worte wert, doch i m merhin bekannt für ausgezeichnete grüne Linsen – Lentille verte de Puy . Dies wohl eher unten im Tal, hier oben wuchs meist nur Gras. Getroffen haben wir niemanden, auch keine Reiter oder Wagen dort, wo der Camino auf eine Straße stieß. In dieser Öde hatten Mensch und Tier viel Auslauf. Kreuze und riesige Rotkäppchen wuchsen am Wegrand.
    Irgendwo mittendrin schloß sich uns ein Hund an. Erst lief er einige Zeit kaum sichtbar in respektvollem Abstand hinterher, wurde dann immer mehr präsent, als ob er uns auf sich erst gewöhnen wollte. Als wir Pause hielten und das Essen auspackten, wurde er zutraulich. Armes Tier, verlorener Streuner. Er konnte kaum zwei Jahre alt sein, vielleicht noch weniger, ein reinrassiger gra u weißer Jagdhund wie in der Gegend häufig zu sehen, doch in einem erbarmen s würdigen Zustand. Ganz jung muß er wohl entlaufen oder, wie heue leider häufig, zurüc k gelassen worden sein. Eine Scheuernarbe von immer enger werdenden Hal s band, bevor er es schließlich abstreifen konnte, verunstaltete den Hals. Darunter baumelte lose ein kinderfaustgroßer Tumor. Eine grausige Bißnarbe war auf dem Rücken sichtbar. Da muß sein letztes Stündlein bereits geschlagen haben. Außerdem fehlten alle Zähne im linken Unterkiefer, was zusammen mit einer schlecht verheilten Hüftverletzung auf einen Autounfall deutete. Was hat wohl dieser junge Rüde schon alles erleben und aushalten müssen? Und doch war es völlig arglos und vertrauensselig, seine eitrigen braunen Augen funkelten, er zeigte die typisch freudige Erregung eines Hundes bei der Begegnung mit dem ihm vertrauten Menschen.
    Da gerade der Herr mit uns ging und mit uns rastete, zeigte ich auf den Hund. War er nicht auch sein Geschöpf? Er aber zuckte die Schultern. Die Tiere und die Pflanzen, die ganze irdische Welt, seien auf den Menschen hin geschaffen, ihm übergeben worden. Darin solle er als Gottes Ebenbild die Herrschaft z u nächst haben und üben, so wie Gott über die Menschen, solange die Welt noch dauert. Auf alle Wesen legte er die Furcht vor ihnen, über Tiere und Vögel sol l ten sie herrschen. [29]
    Also waren wir, ich und das Mädchen, für den Hund zuständig, der als hof f nungsloser Fall unseren Weg kreuzte. Wäre er nicht so räudig und verlaust, hä t ten wir ihn streichen und damit vielleicht trösten können, aber so? Vielleicht hätte es für ihn den Unterschied ausgemacht. Als ich damals nach dem Unfall zerbrochen auf dem Boden lag, hielten zwei fremde Frauen meine Hand. Das änderte nichts an meiner Verletzung, aber ich ging nicht davon. Seitdem stehe ich auf Ohrenstreicheln und Pfotenhalten. Und unsere Hände zückten wohl sehr, doch haben wir unsere Herzen mit Verstand mit guten, wohlgemeinten Ratsc h lägen verhärtet und gaben dem Hund nur ein wenig von unserer kargen Mah l zeit. Er aber, obwohl nun wirklich nur Haut und Knochen, fraß tatsächlich kein Brot, nur die Pastete und die Wurst, wie es junge Hunde zu tun pflegen, und sprang und schnupperte freudig herum zum Zeichen, daß er mehr von den guten Sachen vertragen könnte. Das war glaubwürdig, wir gaben ihm ja nur ganz w e nig. Doch eigentlich gehörte er erschossen. Aus Mitleid und Vernunft, würde man bei uns sagen. Aber ich konnte mich Menschen erinnern, die ähnlich hof f nungsloses Bild boten wie eben dieser junge Hund. Samt des baumelnden T u mors an der Brust und dem Biß im Rücken. Und noch viel weniger Anmut zei g ten. Ich gab dem Herrn recht, es ist nicht einfach, über Geschöpfe zu herrschen.
    Wir gingen weiter, und der Hund folgte uns nach. Manchmal verschwand er im Gebüsch, manchmal lief er auch einige Schritte voraus. So

Weitere Kostenlose Bücher