Bis ans Ende der Welt (German Edition)
harten Parkettboden. Und wir legten unsere Vorräte zusa m men, und was nicht reichte, ergänzte der Küster, und alle wurden nicht nur an diesem Abend, sondern auch noch am nächsten Morgen satt. Und damit wir auch nicht durstig ins Bett gingen, machte der Weinhändler schnell den Laden auf, und auch da hatten wir alle genug, bis uns Abbé Robert, der Pfarrer, mit strengem Blick auf die fünf leere Weinflaschen auf dem Tisch zur Mäßigung mahnte und zu früher Stunde schlafen schickte. Es war unglaublich. Elisabeth rief am Mittag alle nur erdenklichen Stellen im Umkreis von dreißig Kilometern an, alles umsonst und vergeblich. Nun hat sich alles zum Guten gekehrt. Und je später es wurde, so wurde auch das Haus voller und voller, bis jeder Zentimeter Boden mit frohen Pilgern belegt war. Wo hätten sie denn alle die Nacht ve r bracht?
Nasbinals , km 1422
Ich kann, wenn müde, unter vielen Umständen schlafen, ein harter Parkettboden hält mich nicht auf. Nur zum Einschlafen und in der Frühe brauche ich Ruhe. Hier aber läuteten um sechs Uhr schon alle Wecker, und eine französische Fra u engruppe machte sich noch schlaftrunken aufs Packen. Wer die Alarme überhö r te, wurde nun durch das rascheln der Plastiktüten aus dem Schlafsack getrieben. Immer mehr Leute gaben den Versuch weiterzuschlafen auf. Am Ende auch ich, von der Notdurft getrieben. Doch vor der einzigen Toilette stand schon die ga n ze Pfadfindergruppe Schlange. Das war wohl der Preis des Engelgesangs und eine harte Geduldsprobe. Draußen dämmerte es langsam, der Kuckuck zählte die Jahre, die Temperatur betrug gerade sieben Grad. Es versprach, ein harter Tag zu werden.
Zum Frühstück hatten wir ein Brotrest und einen schwachen Tee. Thomas nervte uns mit Sorgen über die fünf Flaschen Wein, die wir gestern zu sechst getrunken haben, und suchte bei uns Anzeichen eines Katers. Der Herr gönnte ihm jedoch nicht die Pharisäerfreude und schickte die Pfarrhaushälterin, um ihn beim Ra u chen zu fassen. Rauchen in und um die Herberge war nämlich strengst verboten. Dann machte er in einem der Zimmer Morgengymnastik. Joanna wickelte für den Marsch das Knie in eine Plastikfolie, angeblich habe es ihr ein Arzt geraten. Mir schien das für den Marsch eher hinderlich. Es kam heute jede Menge mer k würdiges Verhalten auf uns zu, so daß wir erst mit gehöriger Verspätung losk a men. Wir waren die Letzten. Abbé Robert und seine Haushälterin standen auf der Treppe und sahen uns besorgt nach. Ich bat den Herrn für sie um Segen.
Thomas und seine Bremer Freunde gingen voraus, ich und Elisabeth begleiteten Joanna, die nur ganz langsam vorankam. Am Anfang war sie noch guter Dinge, dann aber wurde sie stiller und stiller. Wenn ihr Knie zu sehr weh tat, weinte sie ein bißchen. Es brachte ihr Erleichterung. Ich sah die Tränen über die Wangen rollen und hätte sie vor Mitgefühl küssen können. Sie war sehr tapfer. Immer wieder machten wir dann eine Pause, sie erholte sich und wurde wieder fröhlich. Unterwegs erzählte sie mir von ihren zwölf Geschwistern und den Eltern, und wie es ist, wenn fünfzehn Personen in Urlaub fahren. Es hörte sich an wie „K e vin allein zu Hause“. Um nicht ein Kind unterwegs zu vergessen, banden sie die Eltern mit einer Schnur wie eine Kamelkarawane aneinander. Es gab kein T a schengeld, und man war nie für sich allein. Joannas großer, doch unerreichbarer Traum als Kind war, ein eigenes Zimmer zu haben. Ich hatte keine Geschwister und hätte mir welche gewünscht, aber zwölf Geschwister, soweit verstand ich Joanna, waren entschieden viel zu viel. Letzten Endes hatte man dann keine E l tern, weil diese sich so vielen Kindern gar nicht widmen konnten. Joanna jede n falls fühlte sich vernachlässigt. Um das Geld für die Pilgerreise zu verdienen, arbeitete sie bei einem jüdischen Ehepaar, das einen kleinen Kunstversandha n del betrieb. Für lächerliche drei Euro die Stunde! Als sie einmal eine Vase fallen ließ, mußte sie den Verkaufspreis von zweihundert Euro voll bezahlen. Samt Mehrwertsteuer. Da hätte ich sie schon wieder küssen mögen. Ich überlegte, daß wir sie mit Sissi zusammen eigentlich hätten durchbringen können. Wenn nur ihr Knie nicht wäre. Es versprach nichts Gutes. Die Schmerzen dauerten schon viel zu lange, hörten auch im Ruhezustand nicht völlig auf, und das Kniegelenk fühlte sich warm an. Das waren sichere Zeichen einer Entzündung. Sie hätte e i ne oder zwei Wochen Ruhe nötig gehabt.
Der
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