Bis ans Ende der Welt - Oskar und Mathilda ; 2
Werbeanzeige, die sie in der Handtasche ihrer Mutter gefunden hatte, endlich etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
Das gleichmäßige Brummen des Motors und die vorbeifliegende Landschaft machten Oskar schläfrig. Immer wieder fielen ihm die Augen zu, und schließlich fand er nicht mehr die Kraft, sie zu öffnen. Sein Gehirn sank in eine weiche dunkle Wattewolke und drei Sekunden später war er auch schon eingeschlafen.
Ganz anders Mathilda. Sie war hellwach, blickte durch die Frontscheibe auf die Autobahn hinaus und freute sich über jeden Meter, den sie hinter sich brachten.
Als sie am späten Vormittag endlich die Grenze zur Schweiz passierten und das Navigationsgerät nur noch einhundertundacht Kilometer bis zum Zielort angab, fühlte Mathilda sich wie elektrisiert.
Hoffentlich merkte ihr Vater jetzt nicht noch auf den letzten Drücker, dass sie den Bordcomputer umprogrammiert und eine neue Route eingegeben hatte.
Aber zum Glück schien Ronald von Dommel seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Er hatte das Radio wieder etwas leiser gedreht und hielt seinen Blick konzentriert aufdie Straße gerichtet, was bei der Geschwindigkeit, die er vorlegte, sicherlich kein Fehler war.
Mathilda drehte ihren Kopf zur Seite, hob das Kinn und lauschte in den Kofferraum. Der Jack-Russel-Terrier gab noch immer keinen Laut von sich.
Verrückt, dass der so tief und fest schläft, dachte sie verwundert. Für einen Jagdhund schien ihr das ziemlich ungewöhnlich zu sein.
Vielleicht schlief er aber auch gar nicht, sondern lag ganz still da und zitterte vor Angst … oder – der nächste Gedanke ließ Mathilda stocksteif werden, so sehr schockte er sie: Hoffentlich war der kleine Kerl nicht von all den Klopapierpackungen erstickt worden!
Mama
, krächzte eine feine Stimme irgendwo ganz tief in ihrem Herzen.
Bitte, bitte
…
Unsinn. Unsinn. Unsinn. Mathilda schloss die Augen und ballte die Hände zu Fäusten. Ihre Mutter hatte ihr noch nie geholfen. Trost und Zuspruch würde sie von ihr in diesem Fall also ganz bestimmt nicht erwarten können. Viel wahrscheinlicher war es, dass Barbara von Dommel aus allen Wolken fiel. Und zwar nicht unbedingt, weil Mathilda einen fremden Hund mitgenommen und versehentlich getötet hatte. Neiiin! Garantiert wog der Ekel vor einem Tierkadaver viel schwerer. Außerdem hätte ihre Mutter sicher allergrößte Sorge, dass sich der Leichengeruch nie mehr aus dem Kofferraumteppich entfernen ließ.
Mathilda warf einen Blick auf Oskar. Sein ohnehin sehr schmales Gesicht wirkte schrecklich klein und zerbrechlich, und die drei Sommersprossen, die seine Nase zierten, waren nur noch bei genauerem Hinsehen zu erkennen.
»Es tut mir so leid«, murmelte Mathilda.
Die Vorstellung, mit ihren Eltern eine schöne und entspannte Ferienzeit verbringen zu können, war eine Schnapsidee gewesen.
Okay, dieser plötzliche Aufbruch hatte natürlich nicht im Entferntesten mit Mathildas ursprünglichen Plänen zu tun. Trotzdem hatte sie so sehr darauf gehofft, dass sich wie durch ein Wunder noch alles von selbst regeln und am Ende vielleicht sogar einen guten Ausgang nehmen würde. Diese Hoffnung konnte Mathilda nun getrost beerdigen.
Und was das Schlimmste war: Sie ganz allein hatte Schuld daran. Und jetzt musste sie sehen, wie sie damit klarkam.
Mathilda löste den Sicherheitsgurt und richtete sich vorsichtig auf.
Sorgsam darauf bedacht, keinen Laut zu verursachen, schob sie ihre Knie auf die Sitzbank, stützte sich an der Rückenlehne ab und spähte mit klopfendem Herzen in den Kofferraum.
Die Klopapierpackungen waren ein wenig durcheinandergerutscht. Ungefähr in der Mitte hatte sich ein Spalt gebildet und genau aus diesem Spalt lugte der Kopf des Jack Russel hervor.
Mathilda hätte beinahe laut aufgequiekt. In letzter Sekunde gelang es ihr, die Freude und Erleichterung, die wie ein Blitzschlag durch sie hindurchschossen, in ein stummes Lächeln zu verwandeln.
Der kleine Hund saß ganz ruhig da. Er blinzelte mit den Augen, fuhr sich mit der Zunge übers Maul und begann zu hecheln.
Du hast bestimmt schrecklichen Durst, dachte Mathilda und beugte sich über die Hutablage, um nach ihm zu greifen.
»Was machst du denn da?«, polterte Ronald von Dommel los.
Mathilda zuckte zurück.
»Ähm …«, sagte sie, »… ähm …«
»Hast du etwas verschüttet?«, fragte ihre Mutter.
»Ähm … ja!«, rief Mathilda, außerordentlich dankbar dafür, dass Barbara von Dommel ihr diese Steilvorlage geliefert hatte und
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