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Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Riehl
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Jean-Paul. »Sie beißt aber keine Menschen, es sei denn, sie geben vor, eine Beute zu sein. Zum Beispiel so...«
    Mit einem Zweig fuhr er langsam am Stamm entlang, bis sich die Spinne darauf stürzte. Sie erkannte ihren Irrtum sofort und ging wieder in Lauerstellung. Ralf hoffte, dass Spinnen nicht in die Nähe des Camps kamen.
    Jean-Paul ging ein paar Meter weiter.
    »Hier gibt es eine Sorte Menschenfresser, die den Menschen belehrt, dass er nicht am Ende der Nahrungskette steht. Na, welches Tier meine ich wohl?«
    »Krokodile?«, kam es unsicher aus dem Grüppchen.
    »Nein, hier nicht. Ich wette, jeder von euch ist schon mal von diesem Tier gefressen worden - bei lebendigem Leib, versteht sich.«
    Ralf hatte eine Eingebung: »Moskitos.«
    »Genau. Es gibt hier Millionen, da drüben ist ein Tümpel. Die Fledermäuse machen Jagd auf sie, seht mal nach oben.«
    Dutzende Fledermäuse flatterten kreuz und quer.
    »Da fällt mir übrigens eine gruselige Geschichte ein. Weiß jemand, warum die Kannibalenstämme der Aborigines lieber Chinesen als Weiße gegessen haben? Nein? Weil Weiße gesäuerte Milchprodukte wie Käse essen und deswegen schlechter schmecken. Chinesen nicht - sie schmecken besser. Wirklich wahr.«
    »Gibt es hier immer noch Menschenfresser?«, wollte Beth wissen.
    Jean-Paul machte ein ernstes Gesicht. »Ja, aber du musst keine Angst haben: Wegen BSE haben sie auf ihrem letzten Kongress beschlossen, keine Touristinnen aus England zu futtern.«
    Alle lachten, Beth wurde rot und fragte: »Was ist das für eine Riesenfledermaus?«
    »Das ist ein Flugfuchs, der interessiert sich nicht für Mücken, sondern für Früchte.«
    Einige begann es zu jucken.
    »Gehen wir lieber weiter. Außer der Agakröte hat Australien noch andere Einwanderer, die zur Plage geworden sind: Kaninchen, Karpfen und Wildschweine, die gibt’s auch hier im Dschungel.«

    Im Camp spendierte Jean-Paul ein Bier, Miriam verschwand im Bad, also ging Ralf allein zur Hütte zurück.
    Als er drinnen Licht anmachte, hielt er den Atem an: An der Wand neben seinem Bett saß regungslos eine haarige Spinne, beinahe so groß wie seine Hand. Langsam, ohne die Spinne aus den Augen zu lassen, zog er einen Schuh aus. Er traute sich nicht wegzusehen. Wenn er jetzt ging, wäre sie später unter dem Bett - oder unter der Bettdecke.
    Konnte er die Spinne erschlagen? Er hatte noch nie ein so großes Tier getötet. Vielleicht stand es sogar unter Naturschutz oder so. Nur langsam wurde ihm klar: Weder Mitleid noch Ethik hielt ihn ab - es war Angst. Blöde Angst, sich diesem bisschen Tier zu nähern. Ralf belauerte seinen Gegner Minuten aus der Halbdistanz in der Hoffnung, jemand käme ihm zu Hilfe. Aber niemand kam. Widerstrebend näherte er sich auf Schlagweite. Acht Augen? Dann hatte sie ihn wahrscheinlich schon gesehen. Die Wolfsspinne dachte aber nicht daran, davonzulaufen, sie saß auf ihrem Platz so selbstverständlich wie ein Beamter hinterm Schalter. Es lief auf Kampf hinaus. Mann gegen Spinne, bis zum Tod, keine Gefangenen. Sie oder er. Ralf umklammerte die Spitze seines Schuhs für einen kurzen, exakten Schlag mit dem Absatz genau auf den Punkt. Präzision. Es durfte nichts schief gehen, absolut nichts. Er holte aus und - brach noch mal ab. Was, wenn er nicht richtig traf? Da ging das Licht aus.
    Wamm! Ralf schlug zu, fest genug, um ein Wildschwein zu erlegen, und sprang ein, zwei Meter zurück, beinahe wäre er über das Bett gefallen. Getroffen? Er konnte nichts erkennen. Vor der Hütte, im Licht der Notbeleuchtung, stellte er fest, dass von der Spinne nichts am Schuh klebte.
    Miriam kam mit einer Taschenlampe und erklärte ihm, dass immer um elf der Generator abgestellt werde. Ralf erzählte, was passiert war. Gemeinsam schlichen sie hinein, den Fußboden vorsichtig mit der Taschenlampe absuchend, ob nicht irgendwo eine verletzte Spinne Amok lief. Es war nichts zu sehen. An der Wand war ein Abdruck von Ralfs Schuh - aber kein Fleck einer zermatschten Spinne.
    »Die hast du verscheucht«, sagte Miriam, und Ralf wollte ihr gerne glauben. Tatsächlich würde die Spinne eine Legion Kumpels anheuern, um Rache für den Attentatsversuch zu nehmen. Ralf griff sich Kulturbeutel und Taschenlampe und ging den dunklen Weg zum Waschraum.
    Auf den Toilettentüren stand »Tarzan« und »Jane«, mehr war in der Notbeleuchtung nicht zu erkennen. Mit der Taschenlampe suchte er die Tarzan-Abteilung ab. In einer Kloschüssel bewegte sich was. Ralf fischte den

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