Bis ans Ende der Welt
kleinen, hilflos plantschenden Frosch raus und setzte ihn an einem Baum ab. Ein Freund in einer Welt haariger Riesenspinnen.
Auch Beth und die übrigen Bewohner waren inzwischen eingetrudelt. Miriam hatte das Netz aufgespannt und versprach, es sei moskito- und spinnensicher. Als alle im Bett waren, fragte sie: »Kannst du mich mal am Rücken kratzen? Da ist ein Stich.«
»Kratzen soll man nicht. Das juckt morgen bloß noch mehr.«
»Mir egal. Morgen bin ich jemand anders.«
»Jemand anders?«
»Na klar: Bist du noch der gleiche Mensch wie vor zehn Jahren?«
»Na ja, nein. Zumindest sehe ich anders aus.«
»Und du denkst und fühlst auch anders. Oder wünschst du dir noch das Gleiche zum Geburtstag - ein Düsenjägermodell oder so was?«
Ralf lachte. »Nein.«
»Also: Man verändert sich Tag für Tag.«
»Wenn ich morgen jemand anders bin, stirbt dann jeden Abend mein altes Ich?«
»Zumindest ein paar Zellen davon und ein paar neue kommen dazu. Ich meine ja bloß: Warum für später auf was verzichten? Die Heute-Miriam will jetzt gekratzt werden. Wenn es morgen wieder juckt, kratz ich eben noch mal.«
Sie drehte sich zu ihm um. »Fühl mal.«
Behutsam fuhren ihre Fingernägel über seine nackte Haut. Ralf fühlte es prickeln, »weiter oben«, sagte er, da war ein gemeiner Stich, der gerade jetzt gekratzt werden musste. Über einige Umwege arbeitete sich Miriam in Regionen vor, die wohl kaum einen Stich abbekommen hatten.
»Leise«, flüsterte sie, »die anderen wollen schlafen.«
Als auch sie eingeschlafen war, lauschte Ralf den Geräuschen des Dschungels: Immer wieder fielen Früchte oder Samenkapseln aus großer Höhe dumpf auf den Boden. Ab und zu kreischte ein Vogel. Und dann, trap, trap, trap, liefen irgendwelche Tiere auf den Holzbalken der Hütte entlang, wahrscheinlich Melamies, die Beutelratten. Haut ab, hier gibt’s nichts zu fressen, versuchte Ralf, ihnen telepathisch zu signalisieren. Um was für Tiere es sich auch handelte, sie waren schwach in Telepathie, und so lag er noch eine ganze Weile wach.
Das war sie also, Miriams Diskothek. Kristine ging an einer Pinnwand vorbei und sah sich vergeblich nach Ralf oder Miriam um. Nun, vielleicht kamen sie morgen. Immerhin versprach das Programm, interessant zu werden: Damen-Schlammcatchen. Zu gewinnen gab es zwei Übernachtungen in einem Feriendorf, Anfahrt inklusive.
Kichernd hatten Pam und sie überlegt mitzumachen, zumal sie offenbar die Einzigen wären. Jede Teilnehmerin erhielt einen Cocktail nach Wahl und Bikini und Bademantel, die man behalten durfte. Dennoch - das war Kristine zu albern. Sich vor hunderten gaffender und feixender Männer im Schlamm wälzen - nein danke. Hunderte gaffende, feixende Männer - und Helge.
Der DJ kündigte die erste Teilnehmerin an - eine Hilda aus Holland. Sie kam Kristine bekannt vor - aber erst als sie ihren Begleiter sah, wusste sie, woher: Die hatten Marc in Surfers das Tränengas verpasst! Wut staute sich in ihr auf, diese Tusse würde nicht gewinnen, die nicht.
Unzählige Male hatte Kristine ihren kleinen Bruder in den Schwitzkasten genommen, wenn er frech wurde, nichts leichter als das. Diese Hilda stellte sich hin wie in einem Karatefilm, aber kurz darauf zappelte sie schon in dem eisernen Griff, sodass Kristine fast Mitleid bekam. Aber nur fast. Sie tunkte Hildas Gesicht ein paarmal kräftig in den Schlamm, geschah ihr recht. Für Marc. Und was daraus hätte werden können.
Der Kampf wurde abgebrochen und Kristine zur Siegerin erklärt. Doch nach kurzer Diskussion mit zwei Männern im Hintergrund kündigte der Moderator ein »Finale« über drei Runden an. Hilda, über und über mit Schlamm bedeckt, weigerte sich, aber der Moderator erklärte, sie müsse, sonst ginge leider ihr zweiter Preis flöten.
20.
Von wegen stilles, romantisches Paradies: Morgens war der Dschungel noch lauter als abends. Ein einziges Gekreische, Gequake, Gezwitscher und Geschnatter. Irgendwas klang wie eine Hupe mit Schluckauf, einige Papageien schienen Motorsägen oder Zahnarztbohrer zu imitieren und der Ruf eines besonders lauten Vogels hörte sich für Ralf an wie bei Computerspielen abgeschossene Raumschiffe.
Miriam schlief noch. Ralf schlüpfte vorsichtig aus dem Moskitonetz und sah sich nach Getier am Boden um - es war nichts zu sehen. Draußen entdeckte er einen currywurstgroßen Tausendfüßler, aber was ihm nachts bedrohlich vorgekommen wäre, hatte im Morgenlicht jeden Schrecken verloren.
Jean-Paul fischte
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