Bis ans Ende der Welt
sicher.«
Entlang dem breiten Strand suchten Vögel mit extrem dünnen, gekrümmten Schnäbeln nach Krabben, die sich tief unter der Oberfläche verbuddelt hatten. Felsen und üppiges Grün gaben einen hübschen Rahmen ab, Wellen wühlten den Sand auf und verliehen dem Wasser das Grau von frischem Beton. Der Platz war nicht schlecht, aber längst nicht so idyllisch wie Cap Trib. Ralf dachte an Jean-Pauls Wellentheorie - er war auf dem Weg ins Tal.
Kristine, Miriam und er legten sich unter einen großen Baum, um Schatten zu haben. Miriam lag links von Ralf, gut einen Meter entfernt. Der tätowierte Platypus sah zu ihm herüber, nur schien es, als habe das Grinsen einen säuerlichen Zug bekommen. Ein, zwei Meter weit von Kristine entfernt, hatte Helge sein Handtuch hingelegt und behielt sie im Blick.
Jean-Paul und Beth hatten sich einen Baum weiter niedergelassen. Zum Beweis seiner Quallentheorie ging Jean-Paul als Erster ins Wasser. Ralf ging mit, Macho-Ehrensache, und außerdem fühlte er sich nach wie vor nicht ganz wohl zwischen seinen beiden Freundinnen. Er erinnerte sich daran, dass die Füllung eines Kebabs ziemlich zerhackt aussieht.
Beth war dazugestoßen und balgte mit Jean-Paul im Wasser wie am Tag zuvor Ralf mit Miriam. Auf einmal brüllte Jean-Paul: »Qualle!«, und irgendetwas Durchsichtig-Glibbriges war an seiner Hand. Aber dann lachte er gackernd und zog eine Plastiktüte aus dem Wasser. Beth deckte ihn mit Flüchen ein.
Nach dem Schwimmen legte Ralf Kristine die nasse Hand auf den Rücken. Die andere Hand war für Miriam gedacht, aber Kristine zog ihn gleich zu sich hinunter.
»Brrr, du Scheusal. Komm her.«
Sand kam auf ihr Handtuch und die eingecremte Haut. Sie sah Ralf kurz an und wischte den Sand weg. Er fragte sich, was sie tun würde, wenn sie von dem Fernrohr erfuhr.
»Gehn wir ins Wasser?«, fragte sie Miriam.
Aber die hielt den Fuß mit dem Verband hoch und antwortete: »Geht nicht.«
»Kommst du noch mal mit, Ralf?«
Miriam sagte: »Ich könnte auch ein bisschen Gesellschaft vertragen. Ralfi wollte mir noch was erklären, glaube ich.«
»Ralfi?« Kristine kicherte und sah ihn an. »Seit wann denn Ralfi?«
Ralf wurde rot. »Ich gehe ein bisschen am Strand spazieren.«
Helge bot an, mit Kristine schwimmen zu gehen. Sie seufzte, nahm ihn aber mit.
Bevor Ralf ging, fragte er Miriam, ob sie ihn vielleicht nicht mehr »Ralfi« nennen könnte.
»Nein.«
»Und warum nicht?«
»Mir gefällt ›Ralfi‹, es passt zu dir. Wolltest du nicht spazieren gehen?«
Auf dem Weg den Strand entlang kam er bei Jean-Paul und Beth vorbei. Sie sah ihn an wie eine schleimige Riesenqualle und fragte: »Sag mal, was ist denn mit Miriam? Wieso bist du auf einmal mit der Blonden zusammen?«
»Da ist was schief gelaufen«, gab er zu.
»Scheint mir auch so.«
Ralf nickte und ging weiter. Er hätte Beth gerne erklärt, warum es so gekommen war und nicht wie eigentlich geplant, aber Tatsache war: Er wusste es selbst nicht. Er wusste nur, er konnte schlecht die Nächte abwechselnd mal in der einen, mal in der anderen Hütte verbringen.
Wind kam auf und es begann zu regnen. Jean-Paul erklärte, deshalb hieße der Dschungel auch Regenwald. »Ja, Leute, hier in den Tropen kann man vier Jahreszeiten an einem Tag erleben.«
Ralf fragte Miriam, ob in diesem Spruch ein tieferer Sinn steckte. Sie schüttelte den Kopf.
»Das heißt nur, dass man beim Wetter mit raschem Stimmungsumschwung rechnen muss. Wie bei dir übrigens.«
Sie hatte ja Recht, nur, was sollte er tun? Hätten sie Kristine nicht getroffen, wäre jetzt alles anders, aber sie war nun mal da, unübersehbar: Ihr blondes Haar flatterte im Wind wie eine Fahne, gehisst, um ihr Gebiet abzustecken. Betrachtete man es wie im Waldspaziergangstest, dann war Kristine vielleicht sein Lebensweg. Und Miriam dann der Himbeerstrauch, für den er vom Weg abgegangen war.
Als Ralf ein paar Stunden später das Abendessen an den Tisch des Grüppchens brachte, hatte der Regen aufgehört, die Nacht war klar - sternenklar.
Helge erkundigte sich nach dem Fernrohr: »Alles wieder okay damit?«
Ralf sah ihn beschwörend an, aber zu spät: Kristine hatte mitgehört.
»Welches Fernrohr?«, fragte sie.
»Na deins«, antwortete Helge verwundert. »Hat Ralf dir nichts erzählt?«
Hatte er nicht. Weil er wusste, was kommen würde: eine Kette von Fragen und Vorwürfen.
Nach dem Abendessen machte er einen Spaziergang mit Kristine durch das Lager, um ihr alles zu
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