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Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Riehl
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erzählen. Er hatte das Teleskop doch nur für sie mitgenommen, mit den besten Absichten, und selbstverständlich würde sie eines in der gleichen Qualität wiederbekommen. Kristine war trotzdem sauer: So ein Risiko einzugehen und das Fernrohr dann aus den Augen zu lassen, das sei ja bescheuert gewesen.
    Sich verteidigen war zwecklos, Ralf wusste, er war schuld: schuld am verlorenen Fernrohr, schuld an der gebrochenen Treue und schuld am Verlassen seines Schicksalsweges. Die Zwickmühle hatte er verdient. Schlimmer konnte es kaum kommen.

    In der Hütte stieß Kristine einen Schrei aus, über ihr Bett marschierte eine handgroße, haarige schwarze Spinne.
    »Ralf, da! Mach was!«
    Ralf zog einen Schuh aus und nahm zögerlich die Verfolgung auf, sein Respekt vor den Biestern hatte nicht nennenswert nachgelassen. Die Spinne verschwand rasch im Gebälk.
    »Mann, jetzt ist sie weg.«
    Noch ein Fehlschlag. Warum hatte er Angst vor diesen paar Gramm Haaren und Beinen? Wäre er etwas entschlossener gewesen, hätte Kristine ihm vielleicht die Sache mit dem Fernrohr verziehen. So war sie doppelt wütend: Sie stieg auf das Bett und hämmerte mit einem Schuh gegen alle Stellen, wo sich die Spinne versteckt haben könnte.
    Als das Licht ausging, lag Ralf bereits tief in seinem Schlafsack, so war nur wenig Körperfläche dem Angriff der Spinne ausgesetzt. Während er einzuschlafenn versuchte, wurde es allerdings ziemlich warm. Kristine hatte ihn nicht zu sich ins Bett gelassen, nicht einmal Gute Nacht hatte sie gewünscht. Dann eben schlechte Nacht. Ralf machte den Schlafsack auf, um etwas kühle Luft hereinzulassen. Sollte die blöde Spinne doch kommen und ihn beißen, auch egal. Alles war schief gelaufen, jetzt waren beide Freundinnen sauer auf ihn und jede hatte mehr Grund als die andere. Wenn seine Leiche morgen früh bis zum Anschlag mit Spinnengift voll gepumpt aufgefunden würde, konnte ihm wenigstens keine mehr böse sein.

23.
    Zu seiner Überraschung lebte Ralf am nächsten Morgen noch. Er war eher leer gesaugt als voll gepumpt, die Moskitos hatten ganze Arbeit geleistet. Sie schienen nicht zu wissen, dass Chinesen besser schmecken.
    Es wurde gerade erst hell, Ralf war vor Jean-Paul am Pool. Er sah sich sein Spiegelbild im perfekt ruhigen Wasser an. Wo könnten diese ominösen Grübchen in seinem Lachen versteckt sein? Er grinste, lächelte und schnitt Grimassen - ohne Erfolg.
    »Na, amüsierst du dich?« Jean-Paul stand hinter ihm. »Habt ihr heute schon was vor?«
    »Weiß nicht«, antwortete Ralf, »muss mal Kristine fragen.«
    Kristine wollte weg. Versuche, sie umzustimmen, waren zwecklos: wenig Komfort, viel Getier. Sie habe bestimmt zwanzig Mückenstiche, allein von der letzten Nacht. Zwei Übernachtungen hatte sie frei, das sei genug: »Ich hab von einer Brücke nahe bei Cairns gehört, von der kann man Bungee jumpen. Da will ich hin.«
    »Der Bus zurück geht gleich nach dem Frühstück«, sagte Jean-Paul.

    Helge kam mit, Miriam und Beth blieben in Crocodylus. Beim Abschied kam sich Ralf völlig unwirklich vor, wie betäubt. Er drückte Miriam fest an sich, sie drückte nicht zurück. Er hörte sich »Wiedersehen« sagen, mit einer fremden Stimme, dann ging er zum Bus, auf Roboterbeinen, und winkte mit einer Hand, die sich anfühlte wie abgetrennt und falsch wieder angewachsen.
    Erneut begann es zu regnen, heftiger diesmal. Beim Blick zurück aus dem Busfenster meinte Ralf zu sehen, dass Miriam tatsächlich Tränen in den Augen hatte. Vielleicht kam ihm das nur so vor, er konnte sie kaum noch erkennen, weil dicke Wassertropfen die Fensterscheiben hinunterliefen. Oh Mann - im Regen stehen gelassen. Zwar war er wieder auf seinem Lebensweg, zurück von der Abweichung zum Himbeerstrauch. Jetzt konnte er sogar die Grüße von seinen Eltern ausrichten. Aber wenn alles in der richtigen Bahn lief, warum ging’s ihm dann so elend?
    Als sie eine Stunde später mit der Seilzugfähre über den Daintree setzten, fühlte sich Ralf wie aus dem Paradies vertrieben. Gut, von Spinnen und Moskitos im Garten Eden hatte er in der Bibel nichts gelesen. Aber die riesigen Bäume, das bis ans Meer wuchernde Grün, die verschiedenen Tiere, die merkwürdigen Geräusche waren aufregend schön. Er hatte das Gefühl, etwas dort verloren zu haben, etwas wie die Tasse in dem Psychotest - diesmal hatte er sie liegen lassen.
    Ralf sah aus dem Fenster. Es regnete auf schwarz-weiße Milchkühe, die vor der Urwaldkulisse ziemlich merkwürdig

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