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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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änden sepiafarbene Fotografien ehrwürdiger Herren in dunklen Anzügen aufgehängt waren. Sie erkannte lediglich Abraham Lincoln an seinem charakteristischen Bart, aber die übrigen Gesichter von Schwarzen waren ihr allesamt unbekannt. Selbst die Namen auf den Messingschildern auf der Unter kante der Rahmen sagten ihr nichts: W.E.B. Du Bois, Marcu s Garvey, Booker T. Washington. Das alles – diese Por trätfotografien, das Verhalten ihres Bruders – kam für Pearl so überraschend und war ihr so wenig vertraut, dass sie mit einem Mal am liebsten umgekehrt wäre. Sie packte Martin an s einem Frackärmel, und er drehte sich zu ihr um. Als Pearl den Ärmel wieder losließ und den Mund öffnete, um ihn zu bitten, sie nach Hause zu bringen, hakte er sich bei ihr unter und wirbelte sie herum, bevor sie noch einen Ton sagen konnte .
    »Machen Sie sich deswegen keinen Kopf, Miss Willis«, entgegnete er mit betont britischem Akzent, »Ihr Prinz wird sich die Ehre geben, Sie zum Tanz zu geleiten.«
    Sie musste lachen, und das half ihr, sich ein wenig zu entspannen. Arm in Arm schritten sie durch die Bibliothek, sie schmiegte sich so eng an ihren Bruder, dass sie den zitronigen Geruch der Wäschestärke seines Hemdkragens einatmete. Als die Tür zum Saal aufschwang, fluteten ihr Lachen und Musik entgegen, sodass sie augenblicklich vergaß, wie nervös sie war, und sich weder Gedanken über die Schlammspritzer auf ihrem Kleid noch über ihre weiße Hautfarbe machte. Einige Fenster waren gesprungen, und die Bühne fiel ein wenig schief zur linken Seite hin ab – der Gesamteindruck war so völlig verschieden im Vergleich zu dem, was sie vom Ballsaal des Trocadero mit seiner Drehbühne und seinen Wandpaneelen aus geschliffenem Glas her kannte. Die Beleuchtung war ziemlich schummrig, gleichwohl konnte Pearl durch die Schwaden von Zigarettenrauch Gestalten erkennen, die über die Tanzfläche wirbelten, Paare, die sich schnell voneinander weg und wieder aufeinander zu bewegten, eine junge Frau, die einen Salto über den Rücken eines am Boden kauernden Mannes schlug, und jede Menge Leute mit wild wackelnden Hüften. Alle GIs trugen Uniform, allerdings hatten etliche den Hemdkragen gelockert und die Ärmel aufgerollt, und als Pearl sich an das schummrige Licht gewöhnt hatte, bemerkte sie Schweiß auf vielen Gesichtern.
    Jeder der schwarzen GI s hielt eine Farbige im Arm. Pearl hatte gehört, dass das Amerikanische Rote Kreuz jede Menge junge Aborigine-Frauen und -Mädchen von den Pazifikinseln als Tanzpartnerinnen für die Amerikaner rekrutiert hatten. Trotzdem war sie etwas entsetzt, so viele farbige Australierinnen an einem Ort zu sehen. Es fiel ihr auf, dass einige der Tanzpaare ihre Bewegungen verlangsamten, um sie näher in Augenschein nehmen zu können. Die Blicke einiger der jungen Frauen waren unverhüllt feindselig, als ob sie sich durch Pearls Anwesenheit vor den Kopf gestoßen fühlten. Die Männer, die mit ihrem Bier in der Hand nebeneinander an den Wänden standen, stießen sich gegenseitig mit den Ellbogen an und nickten in ihre Richtung. Und mit einem Mal kam sie sich wie ein Fremdling vor. Mit trockenem Mund schaute sie Martin an, der sie kurz anlächelte und ihr komplizenhaft in Großer-Bruder-Manier zuzwinkerte, auch wenn Pearl immerhin zehn Minuten älter war als er.
    »Na, komm schon, Schwesterherz«, sagte er und hielt den Kopf schief. »Folge meinen Spuren.« Martin drückte sich mitten durch das Gewühl auf der Tanzfläche, und Pearl folgte ihm wie ein Schatten Richtung Bühne. Den Bandleader, Merv Sent, und sein Quartett, die Senders, kannte sie bereits. In seiner Glanzzeit war Merv der erste Klarinettist des Sydney Symphony Orchestra gewesen; bis zu dem Tag, an dem er – gerüchteweise – mit einer Flasche Rum in der einen und seiner Klarinette in der anderen Hand nach einer zweitägigen Sauftour auf Sydneys berühmter Harbour Bridge aufwachte. Und zwar oben auf dem Brückenbogen. Wie er in der Nacht zuvor in volltrunkenem Zustand die Klettertour auf der steilen Eisenkonstruktion der Brücke bewältigt hatte, daran konnte er sich nicht erinnern. Die Polizei konnte ihn nur mit Hilfe der Feuerwehr wieder herunterholen. Und als die Zeitungen über den Vorfall berichteten, wurde er sofort aus dem Orchester entlassen. Die vergangenen Jahre hatte er damit verbracht, in einem Musikkorps beim Militär durch entlegene Armeecamps im australischen Outback zu touren. Doch im Moment war er auf Urlaub und versuchte

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