Bis auf die Haut
schon immer gern ausprobieren, wie es ist, einfach nichts zu tun, und bist nun im zweiten Monat der Untätigkeit. Cole hat dich darin bestärkt, deinen Job als Dozentin für Journalismus an der Londoner Uni aufzugeben, deine ängstlichen Bedenken walzte er mit seiner Begeisterung einfach platt. Dir wurde eine Abfindung geboten, mit der ihr die Hypothek auf eure Wohnung ablösen konntet. Deine Kollegen ließen dich alle nur ungern gehen, denn du warst der hart arbeitende, ruhende Pol in einer Fakultät, die von jeder Menge Allüren gebeutelt wurde. Aber das jahrelange Unterrichten hat dich ausgelaugt, die unerbittliche Alltagsroutine von Arbeiten, Essen, Schlafen, in der sonst nicht viel Platz fand, verwob sich langsam zu einem Netz, das dich zu Boden drückte. Theo meinte, es fordere eben seinen Tribut, dass du als Lehrende so edel, so selbstlos gewesen bist. Du hast ihr nicht gestanden, wie feige es dir vorkam, die Universität nie zu verlassen und sich der wirklichen Welt zu stellen. Stattdessen hast du nur gefrotzelt, sie lehre doch ebenfalls und sei daher nicht weniger edel und selbstlos.
Du lieber Himmel, ich arbeite nur, weil
es mir
selbst gut tut, nicht als Wohltäterin für andere! Also aus ausgesprochen selbstsüchtigen Motiven!
Und was tut dir daran so gut, meine Liebe?
Dieser geheime Kick, grinste sie, wenn mir meine Klientinnen ihre intimsten, schwärzesten Gedanken verraten.
Dein Job war für dich schon längst nicht mehr befriedigend; dagegen empfindest du eine seltsame Genugtuung, wenn du deine neuen Aufgaben als Hausfrau gut erledigst. Du hast nicht erwartet, dass deine Tage von so vielen Banalitäten verschlungen würden; im Moment jedenfalls genießt du es noch, ein aufwendiges Sonntagsessen zuzubereiten, die Küche zu streichen, eure Kleidung durchzusehen. Die Tage galoppieren vorbei, auch wenn dir bewusst ist, dass eines Tages die Langeweile und der Verlust des Selbstwertgefühls nach deinen Fersen schnappen könnten. Aber noch ist es nicht so weit.
Von deinem Ersparten ist nicht viel übrig, doch Cole zahlt dir monatlich 800 Pfund. Das hat eine leise Veränderung bewirkt: Er kann nun von dir erwarten, dass du ihm die Socken stopfst und leckere Nachspeisen zubereitest (nichts aus der Packung!), außerdem lässt er eine Spur zu oft kritische Bemerkungen über dein wohlgerundetes Bäuchlein oder gelegentliche Pickel fallen. Doch seine kleinen Grausamkeiten sind ein geringer Preis für den Luxus des Ausruhens. Er schenkt dir etwas, was du noch nie hattest: die Chance, wieder zu Kräften zu kommen und dir zu überlegen, was du mit dem Rest deines Lebens anfangen willst. Du warst so lange angespannt, ständiger Kontrolle ausgesetzt, immer unter Zeitdruck, hast alles gerade so geschafft. Im ersten Monat hast du geschlafen wie ein Murmeltier, die jahrelange Erschöpfung machte sich bemerkbar, das unablässige Bemühen, es allen recht zu machen, die Unfähigkeit, auch nur einmal nein zu sagen. Und wenn Cole dich neckt, dann immer auf eine alberne, kindische Art, sodass es dir nicht viel ausmacht.
Dieser Tagesausflug ins Atlasgebirge bedeutet für Cole eine Qual, er würde am liebsten wieder umkehren. Er hasst jegliche Aktivität in der freien Natur und tut dann immer so, als wäre er ein verknöcherter alter Brummbär, aber du findest das süß, eines eurer vielen Spiele, er bringt dich so zum Lachen. Der angeblich Verknöcherte hat einen interessanten Gegenspieler: den kleinen Jungen, der Star Trek schaut und Coco Pops kauft, zwei Seelen in Coles Brust, und du liebst dieses Kind im T-Shirt unter den italienischen Anzügen. Von ihm weiß vermutlich niemand etwas außer dir.
Der Wagen schlängelt sich die Serpentinen der schmalen, unbefestigten Straße hoch und bremst ab, wenn ein Fahrzeug entgegenkommt; dann würdest du am liebsten hinausspringen und deine Schuhe von dir schleudern und den puderweichen Ockerboden spüren, der nach deinen Füßen schreit. Diese Art von Landschaft ist tief in dir verwurzelt, denn du bist, als du noch klein warst, mit deiner Mutter in nicht unähnliche Gegenden gereist. Die Sahara liegt gleich hinter diesen Bergen, die Wüste, in der der Sand raucht und der Himmel sich so hoch wölbt.
Es ist eine Wüste von der Farbe des Weizens, sagt Muli, euer Fahrer und Führer.
Wie schön! Du klatschst in deine kräftig mit Henna gefärbten Hände. Wenn du sie ansiehst, verfällst du wie in Trance. Du musst uns dorthin fahren, Muli.
Cole wirft dir einen Seitenblick
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