Bis auf die Knochen
wieder ausgeh ä ndigt worden waren. Es erforderte einige Kraft, um die T ü te aufzurei ß en, und dabei ging eine Reihe von d ü nnen roten Streifen am oberen Rand kaputt. Selbst unsere Gef ä ngnisse hatten Sicherheitsverpackungen. Das war gut, wie ich annahm, denn es konnte daf ü r sorgen, dass meine Dienstmarke von der Kriminalpolizei w ä hrend des Mordprozesses gegen mich nicht bei Ebay meistbietend versteigert wurde.
Ich zog mein Hemd an, meine Uhr und die Dienstmarke, und Andrews f ü hrte mich durch eine Glast ü r in die Sicherheitsschleuse. Die T ü r, die ebenfalls mit ABGANG beschriftet war, war ein Spiegelbild der T ü r f ü nfzehn Meter weiter. Andrews hob sein Funksprechger ä t an den Mund. » Wir brauchen eins-zweiundsechzig «, sagte er, und ich h ö rte, wie in einer Stahlt ü r in der Wand neben dem Garagentor ein elektronisches Schloss aufklickte. Er schob mich hinaus, und ich blinzelte im hellen Sonnenschein. DeVriess sa ß bei laufendem Motor in seinem Auto. Auf der B ö schung oberhalb von uns, am Rand des Parkplatzes, entdeckte ich ein Dickicht aus Fernsehkameras – vermutlich hatte einer der neugierigen Deputys drinnen einem Cousin oder einer Freundin, die bei einem Fernsehsender arbeitete, einen Tipp gegeben. Ich stieg so schnell und so w ü rdevoll, wie es gleichzeitig m ö glich war, ein, und Burt setzte r ü ckw ä rts auf eine Stelle, wo er wenden konnte. Dann fuhren wir zur ü ck ü ber die Maloneyville Road, den Washington Pike und die Schnellstra ß e, bis wir wieder in die Tiefgarage unter dem Riverview Tower fuhren. Burt setzte mich an meinem Mietwagen ab. Als ich die T ü r des Bentley ö ffnete, legte er mir die Hand auf den Arm, um mich einen Augenblick aufzuhalten. » Diese Reporter werden wahrscheinlich in ein paar Minuten vor Ihrem Haus auftauchen «, sagte er. » Vielleicht kehren Sie lieber f ü r ein oder zwei N ä chte in die H ü tte zur ü ck.«
» Verdammt. Wahrscheinlich haben Sie recht.« Auf dem Weg zur ü ck nach Norris ging ich in Gedanken die Erfahrung noch einmal durch, wegen Mordes in Untersuchungshaft zu kommen. Abgesehen von dem zus ä tzlichen Satz Fingerabdr ü cke f ü r die » Schwerverbrecher-EB « schien das ganze Prozedere keinerlei Bezug zu der schrecklichen Gr ä ueltat zu haben, die Jess zugef ü gt worden war. Ich h ä tte genauso gut wegen Ladendiebstahls inhaftiert worden sein k ö nnen. Was das anging, war es nicht so anders als der Papierkram f ü r einen kleineren chirurgischen Eingriff in einer Poliklinik; eine Proktoskopie kam mir direkt in den Sinn. Im Strafjustizsystem gab es – genau wie in meiner forensischen Arbeit – nur relativ wenige Augenblicke, wo es wirklich sehr dramatisch zuging, d ä mmerte mir, und lange Intervalle voller langweiliger Alltagsroutine und Plackerei.
In den siebzig Minuten als Insasse – man hatte mir versprochen, ich w ä re in einer Stunde wieder drau ß en, doch ich hatte unterwegs mindestens f ü nfzehn Minuten lang Fragen gestellt – war ich ü ber ein sorgf ä ltig eingerichtetes Flie ß band gelaufen, wie ein Chassis, das durch die Fabrik rollte. Ich hatte ein gro ß es U gezogen, wobei die eine Seite des U dem Zugang und die andere Seite dem Abgang entsprach, und dazwischen ein kurzer Flur, der beide an der Basis miteinander verband. Einige Prozeduren kamen mir dumm vor, wie zum Beispiel das Aush ä ndigen und Inventarisieren meiner pers ö nlichen Habe, blo ß um sie nur siebzig Minuten sp ä ter wieder ausgeh ä ndigt zu bekommen. Doch dem Ablauf wohnte auch eine elegante Symmetrie inne, ein befriedigender Sinn von Zeremoniell oder Ritual.
Ich war an der einen Seite reingegangen, war fast allem beraubt worden, was ich besa ß , und war an der anderen Seite wieder rausgekommen, wo mir alles wiedergegeben wurde. Ich ü berlegte, ob die Hoffnung bestand, dass dieselbe Symmetrie auch f ü r mein ü briges Leben galt. Noch konnte ich es nicht sehen. Ich hoffte, dass das nur deshalb so war, weil ich immer noch im » Zugangs « -Bereich des Alptraums gefangen war.
35
Vierundzwanzig Stunden nachdem ich mich für meine Verhaftung angezogen hatte, legte ich dieselben Kleider noch einmal an und stieg in den Taurus. Ich f ü hlte mich seltsam exponiert – und sch ä mte mich fast ein wenig –, in Jackett und Krawatte zwischen den rustikalen H ü tten auf dem Campingplatz hindurchzufahren, besonders gleich zwei Tage hintereinander. Die schicke Aufmachung war hier in den W ä ldern genauso fehl am
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