Bis auf die Knochen
hat seinem Hund selbst die Kehle durchgeschnitten «, erkl ä rte sie, » kurz bevor sie ihn drankriegten.«
» Was? «
» Einer der Zeugen hat ihn dabei beobachtet «, sprach sie weinend. » Sie haben den Kerl gejagt und umzingelt. Einer hatte einen Pitbull an der Kette. Einen gro ß en, gemeinen Schrottplatz-Hund. Als sie den Kreis enger zogen, kniete er sich hin und schnitt seinem Hund die Kehle durch. Er wusste es, Bill, er wusste … dass keiner von ihnen da lebend rausk ä me … und er wollte …« Ich konnte sie kaum verstehen, doch ich wagte nicht, sie zu unterbrechen. » Er wollte sichergehen … dass der Hund nicht litt … O Gott, Bill … was f ü r ein schrecklicher, hoffnungsloser, liebevoller Akt.«
Sie hyperventilierte jetzt ins Telefon; ich wusste, dass ihr bald schwindlig werden und dass sie dann in Ohnmacht fallen w ü rde. » Jess, bleib hier bei mir «, sagte ich. » Jess? Beruhige dich. Du musst langsamer atmen, Jess. Hast du ein Handtuch oder eine Decke oder ein T-Shirt zur Hand? Selbst dein Ä rmel oder deine Hand, Jess. Halt dir irgendwas vor den Mund und atme da durch. Irgendwas, was dich beruhigt, was dir das Atmen erschwert.« Sie antwortete nicht, doch ihre Atemz ü ge waren pl ö tzlich ged ä mpft, und allm ä hlich wurden sie langsamer. Ich h ö rte das lange, kr ä ftige Schniefen einer tropfenden Nase, dann ein anhaltend brodelndes, dr ö hnendes Schn ä uzen. » Gut gemacht, Jess. Langsam und regelm äß ig. Langsam und regelm äß ig.«
Sie atmete tief ein und wieder aus. » Gottverdammt, ich hasse es zu weinen «, sagte sie. » Wo kommt das blo ß alles her? Literweise Rotz und Tr ä nen. Jedes Mal, wenn ich denke, mehr kann doch gar nicht in mir drin sein, geht der verdammte Hahn schon wieder auf. Witzig; ich sehe jedes Jahr hundert tote Menschen, und ein toter Hund bricht mir das Herz. Nein, nicht nur der Hund. Die Liebe des Mannes zu seinem Hund. Ein Mann, der so etwas f ü r ein Tier tut, selbst als er den Tod auf sich zukommen sieht.« Sie legte das Telefon zur Seite, schn ä uzte sich noch einmal die Nase und holte dann tief und zitternd Luft und atmete langsam wieder aus, bevor sie den H ö rer wieder aufnahm. »Es kam mir vor wie eine Szene aus Neros Kolosseum «, sagte sie. » Sie haben den Pitbull auf den Mann losgelassen. Der hat ihm fast den linken Arm abgerissen. Er schaffte es, auch diesem Hund die Kehle durchzuschneiden. Sein Arm war v ö llig zerfetzt, und trotzdem hat er sich an die Anatomie des Hundes erinnert und seine Kehle gefunden. Dann sind die zweibeinigen Bestien auf ihn losgegangen.
Vier oder f ü nf, da sind wir uns nicht ganz sicher, und die Zeugen haben sich schnell aus dem Staub gemacht. Sieht so aus, als h ä tte er aus mehreren Richtungen Stichwunden abbekommen, solange er noch auf den F üß en stand. Und noch mehr, nachdem er gest ü rzt war. Ein absoluter Overkill. Vielleicht war der Besitzer des Pitbulls sauer, vielleicht einer der Schei ß kerle, die er verletzt hatte – jedenfalls war jemand so sauer, dass er regelrecht ausgerastet ist.« Sie seufzte wieder. » Die Autopsie wird die H ö lle. Konnte meine erste mit mehr als hundert Stichwunden sein.« Sie lachte freudlos. » Mist. Gef ü hllose, feige, nichtsnutzige Wichser.«
Die Wut war, fand ich, ein gutes Zeichen.
» Verdammt, Bill, das ist nicht der erste Mord dieser Art f ü r dieses Jahr, und es wird auch nicht der letzte sein. Ich f ü rchte, wir haben hier ein wachsendes Problem – zum Teufel, ich glaube, wir haben ein wachsendes Problem in ganz Amerika –, aber niemand will sich damit befassen.«
» Was meinst du damit? Dass die Zahl der Morde steigt? «
» Noch nicht. Unsere Zahlen sind im Augenblick sogar sehr niedrig, aber ich f ü rchte, das wird nicht so bleiben. Ich f ü rchte, bei diesen jungen Schwarzen baut sich ein gewaltiger Zorn auf. Die H ä lfte von ihnen bricht die Highschool ab. Wei ß t du, wie hoch die landesweite Arbeitslosenquote bei Schwarzen ohne Highschoolabschluss ist? « Ich hatte keine Ahnung. » Siebzig Prozent, Tendenz steigend. Wei ß e, ohne Highschoolabschluss, drei ß ig Prozent Arbeitslosigkeit. Latinos nur neunzehn Prozent. Viele dieser jungen Schwarzen in den St ä dten haben keine Perspektive. Keine Hoffnung. Nichts, wof ü r es sich zu leben lohnt, und nichts zu verlieren. Also bedeutet es ihnen nichts, ein paar der Gl ü cklicheren mit sich zu rei ß en, wenn sie gehen.«
» Glaubst du, die Polizei bekommt die Kerle? «
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