Bis auf die Knochen
Stimmungsumschwung, fiel mir nichts Besseres ein als: » Ich hoffe nicht, Garland.«
Vorne im Raum, einem gro ß en Konferenzraum in einem der Beh ö rdengeb ä ude in der Innenstadt von Knoxville, sa ß hinter einem langen Tisch ein Gremium von drei Ä rzten – Mitgliedern der Kammer der Medical Examiner. Seitlich an einem sehr viel kleineren Tisch hockte eine Stenografin. Ihre Finger schwebten ü ber der seltsamen kleinen Maschine, mit der sie die Anh ö rung transkribieren w ü rde. Die Technik faszinierte mich. Die Maschine, ein Stenograf, sah eher aus wie eine altmodische Rechenmaschine als wie ein Computer oder eine Schreibmaschine; doch wenn sie tippte, dr ü ckte sie oft zwei oder drei Tasten gleichzeitig, als spielte sie einen Akkord auf dem Klavier. Ich hatte einmal eine Gerichtsstenografin gebeten, mir die Technik zu erkl ä ren und zu demonstrieren. »Ich transkribiere Laute, nicht Worte «, hatte sie gesagt und mich ein paar Worte sprechen lassen. Dann zeigte sie mir, welche Tastenkombination sie dr ü ckte, um die verschiedenen Laute, die ich ge ä u ß ert hatte, zu transkribieren: Manchmal repr ä sentierte ein » Akkord « eine Silbe, manchmal ein ganzes Wort, in einem Fall sogar einen ganzen Ausdruck. Es war komplizierter als alles, was ich bis dahin gesehen hatte. Als m ü sste sie eine neue Sprache und ein Musikinstrument gleichzeitig beherrschen. Seither hatte ich gro ß en Respekt f ü r die K ü nste der Gerichtsstenografen.
» Dr. Brockton, sind Sie bereit? « Der Anwalt des Gesundheitsministeriums erinnerte mich wieder an die vorliegende Angelegenheit. Er hatte mich bereits ü ber den Vorwurf gegen Hamilton in Kenntnis gesetzt: » bedeutende berufliche Inkompetenz mit tats ä chlichem oder drohendem unmittelbaren Schaden «, der schwerstm ö gliche Vorwurf. In diesem Fall war der Schaden nicht dem Patienten entstanden, da Billy Ray l ä ngst tot war, als er in Hamiltons H ä nde geriet; der Schaden war dem Freund entstanden, dem wegen einer ungerechtfertigten Mordanklage ein Leben im Gef ä ngnis gedroht hatte. Ein ziemlicher Schaden, ganz richtig. Wenn die Medical Examiner den Vorwurf best ä tigten, konnte Hamilton die Approbation nicht nur vor ü bergehend entzogen werden. Wahrscheinlich verlor er sie dann f ü r immer. Und einigen anderen miserablen Obduktionsbefunden nach zu urteilen, die ich gesehen hatte, w ü rde das nur gut so sein.
Ich hatte Schaubilder von Wirbels ä ule, Brustkorb und Lunge mitgebracht, um den unm ö glichen » Stichkanal « zu demonstrieren, den das Messer, nach Hamiltons Beschreibung, genommen hatte. Ich hatte auch darum gebeten, dass das Modell eines menschlichen Skeletts zur Hand sei, damit ich die Unm ö glichkeit auch dreidimensional erl ä utern konnte. Der Anwalt des Gesundheitsministeriums ging z ü gig die Rekapitulation des von mir durchgef ü hrten Experiments durch, bei dem ich auch nicht ann ä hernd in der Lage gewesen war, den von Hamilton im Obduktionsbericht beschriebenen Stichkanal zu reproduzieren. Am Ende lie ß er mich erz ä hlen, wie ich den Knochensplitter von Billy Rays gesplitterter Rippe gefunden hatte, der in die rechte Lunge eingedrungen war. Das Gremium stellte ein paar Fragen – h ä tte eine d ü nnere Messerklinge die erforderlichen Kurven machen k ö nnen? Gab es an dem abgel ö sten Knochensplitter Messerspuren? Bestand die M ö glichkeit, dass der Splitter die Lunge punktiert hatte, als die Leiche nach dem Tod bewegt wurde? –, gab sich mit meinen Antworten jedoch bald zufrieden.
Dann war Hamiltons Anwalt dran. Ich war vom Staatsanwalt von Knox County ü ber denselben Fall befragt worden, also war ich einigerma ß en zuversichtlich und f ü hlte mich gut vorbereitet, doch seine erste Frage brachte mich gleich aus dem Takt. » Dr. Brockton, haben Sie den Verstorbenen, Mr. Ledbetter, auf Anzeichen f ü r Skoliose untersucht? Kr ü mmung der Wirbels ä ule? «
» Nein «, sagte ich, » aber ich denke, mir w ä re aufgefallen …«
» Ich frage Sie nicht, was Sie denken, was Ihnen aufgefallen w ä re, Doktor. Ich frage Sie, ob Sie Ma ß e genommen, R ö ntgenbilder gemacht oder irgendeine andere Untersuchung durchgef ü hrt haben, die einen objektiven Hinweis auf Skoliose ergeben h ä tte? «
» Das muss ich mit Nein beantworten «, sagte ich.
» Und haben Sie Ihr Forschungsobjekt, die Leiche, der Sie eine Stichwunde in den R ü cken zugef ü gt haben, auf Hinweise f ü r Skoliose untersucht? «
Ich sp ü rte, wie
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