Bis du erwachst
das ja noch nie in deinem Leben so gehalten, Kitty.»
«Ich bin ins Flugzeug gestiegen, sobald ich konnte, ohne an meinen Schlaf zu denken, und das ist in meinem Alter kein Spaß.» Sie maßen sich mit Blicken. Cara wusste, dass diese Runde an sie gegangen war.
Kitty seufzte. «Das ist doch albern. Ich habe nicht die Kraft, mit dir zu streiten, Cara. Bitte heb dir das für einen späteren Zeitpunkt auf.»
Sie klang wirklich erschöpft, und das überrumpelte Cara. Sie war bereit zu einer Auseinandersetzung gewesen, mehr als bereit. Und diese Auseinandersetzung hätte all die lang verschütteten «Dinge» wieder ans Tageslicht gebracht. Aber Kitty wirkte plötzlich ganz schwach, und Cara konnte sich nicht dazu überwinden, ihr noch einen Vorwurf zu machen.
Millie kam in ihrer «Bewerbungskluft», bestehend aus Rock und Bluse, ins Krankenhaus. Es fiel ihr schwer, ihre Aufregung über die Ankunft ihrer Mutter zu bezähmen. Sie hatte sie seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen – mindestens ein halbes Jahr nicht mehr, seit Lena darauf bestanden hatte, mit nach Southampton zu fahren, um sie zu besuchen. Und so hatte sie den Tag mit ihrer Mutter und Lena verbracht und es genossen. Nur Cara hatte in der Runde gefehlt – wie üblich.
Millie war froh, dass Kitty wieder da war und sie für ein Weilchen eine Art Familie sein konnten, alle vier zum ersten Mal vereint seit … nun ja, Ewigkeiten. Da Cara aber nicht mit Kitty sprach und Lena mit überhaupt niemandem reden konnte, war es nicht gerade ein perfektes Familientreffen.
Millie räusperte sich. «Wenn Daddy doch auch da wäre.»
«Wie, damit wir einen auf glückliche Familie machen können?», erkundigte sich Cara.
«Er mag ein nichtsnutziger Versager sein, aber er hat ein Recht darauf, es zu erfahren», sagte Kitty. Auch wenn ihre Mutter vermutlich recht hatte und obwohl er im Lauf der Jahre keinerlei Versuche unternommen hatte, mit ihnen in Kontakt zu bleiben, fand Millie die Bemerkung hart. Sie hoffte inständig, dass sie nicht der Wahrheit entsprach. Dass er nicht «nichtsnutzig» war, und vor allem: dass er sie immer noch liebte.
«Vielleicht hat Lena seine neue Nummer», sagte Cara und strich eine Locke von Lenas geschlossenen Augen.
«In ihrem Notizbuch? Aber keiner weiß, wo es ist», sagte Millie.
«Nein, in ihrem Telefon gespeichert.»
«Hat irgendwer schon nachgesehen?», erkundigte sich Kitty und befestigte lange Klimperohrringe an ihren Ohren.
«Wenn er auch nur einen Penny auf irgendwen geben würde außer sich selbst, hätte er mal angerufen, dann hätten wir es ihm erzählen können. Aber in Wahrheit ist es doch so, dass er sich nicht für uns interessiert. Sich nie für uns interessiert hat. Findet euch damit ab», sagte Cara barsch.
Für Millie war das wie ein Schlag ins Gesicht. Dann wollte sie eben, dass die ganze Familie an Lenas Bett saß, miteinander redete, zusammen war. War das denn so schlimm? Sie hatte ihren Vater anrufen wollen, sobald sie das mit Lena erfahren hatten, aber er hatte das Land und ihr Leben schon vor zehn Jahren verlassen und sich seitdem kaum mehr bei ihnen gemeldet. Vierzehn war sie damals gewesen, kurz davor, eine Frau zu werden, hatte sich über Jungs Gedanken gemacht und sich danach gesehnt, die Wirrungen der Pubertät endlich hinter sich zu lassen. Das Timing war absolut übel gewesen.
Ihrer Mutter heute im Krankenzimmer zu begegnen war eine angenehme Überraschung gewesen. Zuerst hatte sie sie nur zögernd in die Arme genommen und nicht recht gewusst, was sie sagen sollte, doch dann war ihr Kittys Jasminduft so vertraut in die Nase gestiegen. Man sah Kitty ihr Alter nicht an, aber sie war ein wenig stärker geschminkt, als nötig gewesen wäre.
Aber sie war immer noch Kitty. Ihre Mum, die, solange sie zurückdenken konnte, niemals Mum genannt werden wollte. Im Theater kannte man sie einfach als Kitty, und sie bestand darauf, dass ihre Kinder diesen Namen ebenfalls benutzten. Nicht dass es Millie etwas ausgemacht hätte, denn in der Schule konnte sie enorm damit punkten, dass ihreMutter Schauspielerin war. Ins Fernsehen hatte sie es zwar nicht geschafft, aber sie war in ein paar Stücken aufgetreten, und einmal war sie im Hintergrund einer Werbung für Orangensaft zu sehen gewesen. Zum Elternabend kam Kitty gern in Abendkleid und frivolem Hütchen und redete von Vorsprechproben und welche berühmten Kollegen ihr bei ihrem Text geholfen hätten. Damals hatte sie das alles unendlich cool gefunden, aber als
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