Bis du erwachst
sich so was machen lassen. Jedenfalls wärme ich dir jetzt erst mal dein Essen auf. Wasch dir die Hände, Mills.»
Millie tappte ins Badezimmer und unterdrückte ein Gähnen. Überall lagen Kittys Sachen herum: eine lange, glatte Perücke hing leise tropfend über dem Wasserhahn, vermutlich war sie frisch gewaschen, daneben lagen eine dermatologische Körpercreme, Damenrasierer, Wick VapoRub. Sie fand es wunderbar, dass ihre Mutter wieder da war, und versuchte nicht an den Moment zu denken, wenn sie wieder abreisen würde.
Sie machte sich frisch und setzte sich dann zum Essen. Ihr knurrte der Magen, und sie aß ihren Teller rasch auf. Obwohl Kitty nie eine sonderlich mütterliche Mutter gewesen war, konnte sie beim Kochen mit der besten Hausfrau Englands mithalten.
«Weißt du noch, wie ihr Mädchen euch am Sonntagabend immer gestritten habt, wer welches Teil vom Hähnchen bekommt? Ihr wolltet alle den Flügel und habt einfach nicht einsehen wollen, dass es davon nur zwei gibt.»
«Lena hat mir manchmal ihren überlassen», sagte Millie leise.
«Und euer gieriger Vater hat für sich immer einen Schlegel und einen Flügel beansprucht. Da hätte ich schon wissen müssen, was er für einer ist.» Kitty lachte.
Es fühlte sich gut an, so mit Kitty zu plaudern. Vielleichtkonnten sie ihr Verhältnis doch noch in Ordnung bringen, aber wer wusste schon, wie lange Kitty diesmal bleiben würde. Vielleicht Wochen. Monate. Und dann fiel Millie plötzlich ein, dass Kittys Aufenthalt davon abhing, wie lang Lena noch schlief. Und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass Lena so rasch wie möglich aufwachte und aus dem Krankenhaus herauskam. Natürlich!
«Von Dad redest du nicht oft. Ich weiß, dass er dir furchtbar wehgetan hat … ich meine, er hat uns allen wehgetan …» Millie tastete sich vorsichtig voran. Sie wollte ihre Mutter nicht aus der Fassung bringen, aber sie hatten nie richtig über ihren Vater gesprochen oder über die Tatsache, dass er sie vor zehn Jahren verlassen hatte. Und darüber, warum danach die gesamte Familie zerbrochen war.
«Ja, das hat er. Der verdammte Mistkerl hat alles kaputt gemacht, was wir hatten. Was immer das auch war.»
«Wie meinst du das?»
«Na ja …», begann Kitty, den Blick in die Ferne gerichtet. «Du weißt schon. Alles, woran ich geglaubt habe. Die Ehe, Kinder. Ich dachte, ich würde ein Märchenleben leben. Ich dachte, ich würde meinem Prinzen begegnen, ihn heiraten und dann mit ihm glücklich bis ans Ende unserer Tage leben … ach, und natürlich wollte ich noch eine berühmte Schauspielerin werden!»
«Und was ist dann passiert?»
«Mir ist einfach alles über den Kopf gewachsen. Und er hat mich nie unterstützt.»
Plötzlich legte Kitty ihrer Tochter sanft die Hand auf den Arm. «Es ist schon spät, und ich brauche derzeit so viel Schönheitsschlaf, wie ich nur kriegen kann. Hast du meine Augenringe gesehen?»
«Du siehst umwerfend aus, Kitty.»
«Oh, danke, Mills. Aber ich muss jetzt wirklich ins Bett. Ich habe nur gewartet, bis du heimkommst.»
Millie hätte die Unterhaltung gern fortgesetzt, aber Kitty hatte recht, es war schon spät.
«Versprich mir nur eines, Mills.»
Sie nickte.
«Lass nie zu, dass ein Mann dich mies behandelt.»
13
«Lena. Ich möchte bitte mit Lena sprechen», wiederholte Michael.
Die Stimme an der Vermittlung, eben noch das reinste Frühlingserwachen, verstummte.
«Hallo, sind Sie noch da?», fragte Michael.
«J … ja …»
«Kann ich bitte mit Lena sprechen?»
«Sie ist im Moment nicht da. Kann ich … kann ich …? Ich verbinde Sie mit einer anderen Beraterin, die Ihnen bei Ihrem … Ihrem Anliegen vielleicht auch weiterhelfen kann.»
Michael wusste nicht recht, wie er das interpretieren sollte, aber wenigstens brach sie nicht in Tränen aus wie die andere Frau neulich beim Kindernotruf, als Charlotte angerufen hatte. Ihm krampfte sich der Magen zusammen, wenn er nur daran dachte: Wenn nun etwas Schlimmes passiert war? Aber warum hatte er dann diesen seltsamen Anruf erhalten? Michael wartete beklommen, während ihm ein digitalisierter Celine-Dion-Song unangenehm ins Ohr drang.
«Kann ich Ihnen helfen?», fragte schließlich eine Frauenstimme.
«Lena? Sind Sie das?», fragte er hoffnungsvoll. Am Telefon klangen die Leute immer anders. Nicht, dass er sich anLenas Stimme hätte erinnern können, nach all der Zeit, aber diese wunderschönen, strahlend grünen Augen …
«Nein, ich bin
Weitere Kostenlose Bücher