Bis du erwachst
nicht Lena. Kann ich Ihnen vielleicht helfen?»
«Ich würde viel lieber mit Lena reden.»
«Über irgendetwas Bestimmtes?»
«Nein. Ich bin ein Freund von ihr und kann sie seit einiger Zeit nicht erreichen.»
«Ach so, verstehe.» Die Stimme schwankte. Und verstummte.
«Sind Sie noch dran?»
«Ja, natürlich.» Die Frau räusperte sich. «Wann … wann haben Sie denn zum letzten Mal mit Lena gesprochen?»
«Vor ein paar Wochen.» Seine Stimme wurde unsicher. Was war da los?
«Dann haben Sie es wohl noch nicht gehört?»
«Was denn?»
«Tut mir leid, ich …»
Eine Pause trat ein, und Michael befürchtete schon wieder das Schlimmste. «Was ist passiert?»
«Ich habe schon zu viel gesagt. Es gibt hier gewisse Bestimmungen zum Datenschutz, die wir einhalten müssen. Ich weiß ja nicht mal, wer Sie sind.»
«Ich bin ein Freund …»
«Dann schlage ich vor, dass Sie sich an Lenas Familie wenden.»
Michael war sich sicher, dass sie ihn auf die Probe stellte. Er konnte schließlich auch der Psycho von nebenan sein. Wenn er, wie er behauptete, ein Freund von Lena war, hätte er auch ihre Adresse oder wenigstens ihre private Telefonnummer.
«Bitte …», flehte er.
«Wir sind hier alle so … am Boden zerstört», sagte die Frau mit schwankender Stimme. Jeden Moment würde sie in Tränen ausbrechen, das spürte er.
«Am Boden zerstört? Weswegen? Bitte, bitte, ich bin ganz verzweifelt.» In mehr als einer Hinsicht.
«Schauen Sie, sie liegt im Krankenhaus, mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Bitte, ich habe schon genug verraten. Schönen … schönen Abend noch.» Und damit legte sie auf.
Das also war es. Lena, die junge Frau aus dem Bus, lag im Krankenhaus.
Aber was hatte das zu bedeuten? War sie ernsthaft verletzt? Hatte er sie deswegen seit Wochen nicht mehr gesehen? Wer hatte ihn dann angerufen und warum? Von all den unbeantworteten Fragen dröhnte Michael schon der Kopf. Er musste einfach wissen, was Lena zugestoßen war.
Sofort stellte er eine Liste der Krankenhäuser zusammen, die in der Nähe der Busstrecke lagen: King’s College, St. Thomas, Fen Lane.
Er beschloss, jedes einzelne dieser Krankenhäuser aufzusuchen. Aber dann fand er, dass er eine ziemlich erbärmliche Figur dabei abgeben würde, da er ja nicht mal wusste, auf welcher Station sie lag oder was ihr fehlte. Im Bus nach Hause dachte er, dass er Lena wohl kaum finden würde. Er hatte allen Mut verloren. Um sich abzulenken, beschloss er, in der Bar vorbeizuschauen, in der Charlotte und er neulich gewesen waren.
«Kann ich bitte einen Mojito bekommen?», fragte er die Barfrau.
«Macht fünf Pfund sechzig, bitte.»
«Aber jetzt ist Happy Hour!», beschwerte er sich.
«Die ist seit fünf Minuten vorbei», erklärte sie in einem Ton, als ginge sie das alles nichts an.
Michael seufzte über die Ungerechtigkeit der Welt und kramte nach dem Geld. Aber es war sonderbar: Die Frau hatte etwas merkwürdig Vertrautes.
«Also gut», gab sie nach. «Sie sehen aus, als wäre Ihr Tag noch schlimmer gewesen als meiner. Dafür spendiere ich Ihnen den Drink zum halben Preis.»
«Danke.»
«Mir ist gerade so großzügig zumute. Wird nicht wieder vorkommen.»
«Das klingt, als könnten Sie auch einen brauchen», sagte Michael.
«Das wäre mir jetzt aber wirklich zu klischeehaft, wenn wir anfangen würden, uns über den Tresen hinweg traurige Geschichten zu erzählen.» Sie grinste.
«Ja, schon gut.» Auch Michael lächelte und sah zu, wie sie die Minze für seinen Drink vorbereitete. Bald darauf nippte er an seinem Mojito, in Gedanken ganz bei der Frau mit den grünen Augen.
Inzwischen war Michael bei seinem dritten Mojito angelangt, und die Happy Hour war längst vorbei. Der Drink schmeckte viel besser als beim letzten Mal. Diese winzige Barfrau mixte tatsächlich den besten venezolanischen Mojito, den er je getrunken hatte.
«Ich bin ihr im Bus begegnet», platzte Michael plötzlich heraus.
«Im Bus. Wie romantisch!» Die Frau lächelte.
«Wir haben nur ein einziges Mal miteinander geredet.»
«Sie brauchen einen echten Inhalt in Ihrem Leben.»
«Kann sein.»
Sie reichte ihm noch einen Mojito.
«Wir haben miteinander geredet. Aber nur einmal.»
«Das haben Sie schon gesagt. Ist sie nett? Einen Moment bitte. Ja, was darf es sein?», fragte sie, an einen anderen Gast gewandt. Michael fand es irgendwie tröstlich, hier zu sitzen und mit einer Fremden über Lena zu reden.
«Also, und was passierte dann?», ermunterte
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