Bis du erwachst
Also … lass dir ruhig Zeit.»
Deana setzte sich auf den freien Stuhl. «Mir geht’s gut.»
«Na dann.»
«Sagen Sie mal, wie können Sie eigentlich, ich weiß nicht, glücklich sein und so?»
«Glücklich? Lena liegt hier schon eine ganze Weile …» Sie sah Deanas entsetzte Miene. «Ich meine: Man hat eben gute und schlechte Tage.»
Deana zuckte nur mit den Schultern.
«Und, wie lange kennst du meine Schwester schon?»
«Is’ ’ne lange Geschichte.»
«Wir haben Zeit.»
«Ihnen kann ich’s wohl erzählen, aber Sie dürfen nichts weitererzählen. Ich will nicht, dass ihr Chef das rausfindet und sie rausschmeißt. Wenn sie hier wieder rauskommt. Ich will nicht, dass sie wegen mir Probleme kriegt. Das wär echt das Allerletzte.»
«Probleme?»
«Ja. Vor einem Jahr hat das alles angefangen. Ich hab bei Kidzline angerufen, weil … also, mein Dad hat sich aufgeführt wie ein Arsch. Ich war kurz davor, ihn zusammenzuschlagen. Lena hat mir geholfen.»
Lena, die Deana nur als Beraterin L. kannte, hatte alle ihre Anrufe entgegengenommen. Deana wollte mit niemandem sonst reden. Aber ohne das Wissen von Kidzlineund gegen alle Vorschriften hatten sie angefangen, sich regelmäßig in einem Café namens «Giraffe» in Muswell Hill zu treffen. Bei diesen Treffen redeten sie über alles: Über das Leben bei ihrer neuen Pflegefamilie, in der Deana sich wie eine Außenseiterin vorkam, über die Schule und über Jungs.
«Es gab Zeiten, wo ich das Gefühl hatte, dass keiner für mich da ist. Da bin ich dann so wütend geworden und wusste nicht, wohin mit meiner Wut. Lena hat gesagt, sobald das passiert, soll ich mir das Handy schnappen und sie anrufen. Jederzeit. Das hab ich dann gemacht. Und es hat mir geholfen.
Sie
hat mir geholfen.
Durch sie habe ich mich normal gefühlt, was immer das auch heißt. Nicht wie ein Kind, das einen schlimmen Dad hat, der immer wieder auf es losgeht. Lena hat sich für alles interessiert.»
Und es war Lena, die ihr erklärte, dass sie weitaus mehr wert war, als die anderen ihr einzureden versuchten, und dass sie die Fähigkeit hatte, alles im Leben zu erreichen, das sie sich wünschte.
«Ich glaub, ich war ihr wirklich wichtig. Endlich hat sich jemand was aus mir gemacht. Das hatte ich noch nie zuvor. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie mir das Leben rettet. Klingt blöd, ich weiß», meinte Deana. Sie schauten beide Lena an, wie sie in ihrem Krankenbett zu schlafen schien. Millie war bewegt und kämpfte mit den Tränen. Aber eines musste sie noch wissen.
«Wie hast du sie gefunden?»
«Als sie zwei Mittwoche nacheinander nicht aufgetaucht ist und sich auf ihrem Handy immer nur die Mobilbox gemeldet hat, bin ich misstrauisch geworden. Dann ist mireingefallen, dass sie mir ihre Telefonnummer von zu Hause gegeben hat – nur für den Notfall.»
Millies Augen weiteten sich ungläubig. Sie konnte es nicht fassen, dass Lena, die so penibel ihre Listen führte und sich immer streng an die Regeln hielt, ihren Job so aufs Spiel gesetzt hatte. Aber Lena war eben auch ein sehr fürsorglicher Mensch, und so hätte sie das, was Deana ihr erzählte, eigentlich nicht weiter wundern sollen.
«Du hast sie also zu Hause angerufen?»
«Ja, und irgendeine alte Oma hat gesagt, dass sie hier ist.»
«Das war dann wohl Kitty. Vermutlich dachte sie, du wärst eine Freundin.»
«Ja. Das ist jetzt schon eine Weile her. Und die Sicherheitsvorkehrungen hier sind ziemlich streng.»
Sanft ergriff sie Lenas Hand. «Ich bin neulich nämlich wieder in Schwierigkeiten geraten. Ich dachte, Lena sei deswegen nicht gekommen, weil ich ihr scheißegal bin. Aber dann habe ich es rausgefunden.»
Millies nächste Bemerkung ergab sich ganz natürlich; sie konnte ja sehen, dass dieses junge Ding mit den sackartigen Hosen und dem großspurigen Auftreten im Grunde seines Herzens ein unschuldiges junges Mädchen war. «Lena würde wirklich nicht wollen, dass du in Schwierigkeiten gerätst, Deana.» Sie meinte es ganz aufrichtig.
«Ich weiß, ich weiß. Ich bin es ihr schuldig, dass ich nicht so ein Penner werde wie mein Dad, das weiß ich, ehrlich, ich weiß es wirklich.»
«Das glaube ich dir», lächelte Millie. Es überraschte sie selbst, als sie dem Mädchen freundschaftlich die Hand auf die Schulter legte.
Am Morgen von Millies Bewerbungsgespräch saß Kitty in der Küche und knobelte an einem Sudoku herum. Millie stand am Bügelbrett und kämpfte mit ihrem Bewerbungskostüm. Sofort kam Kitty
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