Bis du erwachst
damit sogar recht. Vielleicht konnte er eine viel bessere Frau als sie finden.
Leider hatte Ade sich für zwei Spätdienste hintereinander ausgetragen, aber sie war trotzdem hoffnungsvoll gewesen. Der Dienst verlief ganz normal: Eliza war unfähig wie immer, Cara weigerte sich, eine Gruppe offensichtlich minderjähriger Jugendlicher zu bedienen, und eine Damentoilette stand kurz vor einer Sintflut. Dieselben alten Dramen im A&R. Nur Ade war nicht da, um sie mit ihr zu teilen. Und so fühlte sie sich noch elender.
Als Michael kam, hob sich ihre Stimmung.
«Ich wünschte, Lena hätte dich kennengelernt, bevor ihr dieser Wichser Justin über den Weg gelaufen ist.»
Da, das war deutlich. War das zu unverschämt von ihr?Egal, es war genau das, was sie empfand. Außerdem, wenn sie ganz ehrlich war, hatte sie das schon sagen wollen, seit sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, denn er war absolut und fraglos der perfekte Mann für Lena.
Cara hatte nie zu diesen nervtötenden Leuten gehört, die es als ihr göttliches Recht ansahen, alles und jeden zu verkuppeln, nur weil sie selbst in einer Partnerschaft lebten. Zu denen würde sie nie gehören. Aber Michael hatte etwas. Und was als bloßes Spiel angefangen hatte, um Justin zu ärgern, hatte sich jetzt zu etwas ganz anderem entwickelt. Er war ein guter Kerl. Seine Besuche bei Lena machte er von sich aus, ohne dazu gedrängt zu werden, er hatte bei diesem unsäglichen Familiendinner tapfer seine Meinung gesagt, und er hatte Millie geholfen, eine Stelle zu finden.
Nach dem ersten Gästeansturm hätte Cara beinahe bei Ade angerufen, nur um mit ihm über die falsche Zwanzig-Pfund-Note zu lachen, die ihr jemand hatte unterjubeln wollen, und über den Vertreter, der ihr die stinkendsten Bananenchips hatte verkaufen wollen, die ihr je untergekommen waren. Das war das Problem, wenn man seit über zehn Jahren mit jemandem zusammen war: Man wollte ihm jede alltägliche Kleinigkeit erzählen. Man merkte sich jeden kleinen Witz, damit man ihn später weitererzählen konnte. Sie lächelte immer noch in sich hinein, als Eliza sich mit besorgtem Gesichtsausdruck näherte. Was hatte sich ihre Angestellte jetzt schon wieder geleistet? Eliza hielt einen großen Umschlag in der Hand. Hoffentlich war das ihre Kündigung.
«Ähm …», begann Eliza und biss sich wie immer auf die Unterlippe. Cara war sich nicht sicher, ob Eliza in der Lage war, überhaupt ein Gespräch zu führen, das nicht mit
Ähm
begann.
«Ich und die anderen Angestellten, wir haben das hier … ähm … gemacht.»
Sie drückte Cara den Umschlag in die Hand, und Cara fühlte sich veranlasst, ihn aufzumachen. Eliza sah sie voll brennender, beinahe manischer Erwartung an.
Es war eine Karte.
«Du kannst ja mal reinschauen», sagte Eliza sinnlos.
Im Inneren der schlichten Karte stand: «In Gedanken immer bei Dir», und sie war von Eliza und der Putzfrau unterschrieben, komplett mit Smiley.
«Das … das ist wirklich reizend, danke», war alles, was Cara herausbrachte. Ade hätte in dieser Situation natürlich genau gewusst, was zu tun war, denn so war er eben: süß. Sie war eher die Bittere .
Cara nahm die Karte ins Büro mit und stellte sie auf dem kleinen Sims ab, den Ade in einem seltenen Anfall von Heimwerkerwahn gebaut hatte. In diesem Augenblick sah sie den Gruß, der vorne auf der Karte stand. Sie erstarrte.
Herzliches Beileid.
O nein, das war doch nicht möglich!
Sie klappte die Karte noch einmal auf und überflog die beiden Unterschriften ihrer dämlichen, gedankenlosen Angestellten. Wut kochte in ihr hoch und drohte über ihr zusammenzuschlagen. Sie machte sich daran, die Karte zu zerreißen.
Beileid?
Beileid?
Sie riss an der Pappe herum und hoffte, damit gleichzeitig auch die Wut zu vertreiben. Aber die Karte ließ sich nicht zerstören, sie war offenbar eine von den teureren, von oben aus dem Regal. Verdammt, dachte sie. Dann schleuderte siesie einfach Richtung Tür, gerade als diese aufging. Vor ihr stand Ade und starrte sie verdutzt an.
«Was ist denn los?», fragte er und lief zu ihr hin. Sie hing über ihrem Schreibtisch gebeugt. Ihre Stirn war schweißnass, und sie atmete heftig. Am liebsten hätte sie den Tränen freien Lauf gelassen, aber sie wollte nicht, dass ihre Angestellten (oder Ade, bei ihren augenblicklichen Differenzen) dabei zusahen, wie sie allmählich durchdrehte.
«Alles in Ordnung!», presste sie hervor.
Ade hob die ramponierte Karte auf.
«Das stimmt doch
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