Bis du erwachst
herbeigeeilt, nahm Millie das Bügeleisen aus der Hand und schickte sie dann mit Rühreiern und Toast im Bauch auf den Weg. Millie war sich nicht sicher. War das etwa Stolz im Blick ihrer Mutter?
Sie kam pünktlich und sprach mit einer Empfangsdame namens Moira, die ihr den Weg wies. In dem Warteraum setzte sie sich zu den anderen Bewerbern. Die sahen zwar alle gebildeter, klüger und hübscher aus als sie selbst, aber sie bemühte sich, positiv zu denken und sich Lenas Gesicht vorzustellen, wenn sie aus ihrem Tiefschlaf erwachte und feststellte, dass ihre kleine Schwester eine feste Anstellung hatte.
Der Gedanke an Lena half ihr durch das Bewerbungsgespräch. Sie dachte immer daran, dass Lena ihr gern geraten hatte, sich durchzusetzen, sie selbst zu sein und es allen zu zeigen.
Und Lena war auch die Erste, der sie es erzählte, im selben Moment, in dem sie es erfuhr: «Wir würden Ihnen die Stelle gern anbieten, Millie!»
29
Millie hatte sich oft vorgestellt, wie es wohl wäre, ins Arbeitsamt zu gehen, sich anzumelden und dann dem rotzigen Sachbearbeiter lässig zu erklären, dass man in ein paar Wochen eine neue Stelle antreten würde. Oder wie es wäre, in einen hübschen Laden zu gehen, sich ein Kleid anzuschauen, das einem gefiel, und dann zu denken: «Am Ende des Monats kann ich es mir leisten.»
Und wie würde es sich anfühlen, in den Spiegel zu schauen und dort nicht nur eine gute Figur, wildes Haar und schöne Lippen zu sehen?
Einfach toll fühlte es sich an!
Das war eines der neuen Wörter, mit denen Millie sich in letzter Zeit beschrieb.
Toll!
Und sie war stolz darauf, dass sie in der Lage war, mit einem Mann wie Michael eine platonische Freundschaft zu haben. Tatsächlich hatte sie in letzter Zeit zu keinem anderen Mann außer Michael Kontakt. Stewart rechnete vermutlich damit, dass sie sich bei ihm meldete, und an Rik (dessen Armbanduhr immer noch ganz hinten in ihrer Schublade lag) hatte sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr gedacht. Die Uhr hob sie sich für einen trüben Tag auf, der aber nochnicht gekommen war. Gewissermaßen war die Uhr ein Test, ob sie noch dieselbe junge Frau wie vorher war: Wenn sie es schaffte, die Uhr einfach in die Post zu geben, mit einer hingekritzelten Botschaft à la «Hier ist deine Uhr, schönes Leben noch!», wäre das ein echter Fortschritt. Und obwohl sie wusste, dass sie noch nicht ganz dazu bereit war, spürte sie, dass sie ganz nah dran war.
«Ich bin so stolz auf dich!», rief Michael begeistert, als er mit Millie und Kitty im A&R saß. Stolz! So etwas hatte noch kein Mann zu ihr gesagt!
«Danke, Michael», erwiderte sie ernst.
«Und ich weiß, dass du normalerweise nicht so gut einschenkst», sagte er an Cara gewandt, als diese beinahe ein halbes Glas Rum in seinen Mojito goss.
«Sorry, ich war mit den Gedanken gerade woanders. Oh, herzlichen Glückwunsch zu deinem Job, Millie», sagte sie.
«Ist das alles?»
«Hast du einen Tusch erwartet?»
«Nein, aber irgendeinen sarkastischen Kommentar über meine Pünktlichkeit oder dass ich mich nicht mit der Hand in der Kasse erwischen lassen soll …»
«Du bist nicht mehr dieselbe alte Millie, also brauchst du mit so etwas gar nicht mehr zu rechnen», erklärte Cara. Sie lächelte warm, als sie das sagte.
Millie schaute sie genau an. «Was ist los mit dir, Cara? Du bist in letzter Zeit so anders.»
«Du meinst, ich bin noch missmutiger als sonst? Alles ist in bester Ordnung. Ich habe mir nur einen Tag frei genommen.»
Kitty nippte an ihrer Diet Coke und sah sich in der Barum. Sie war noch nie hier gewesen, hatte aber Millies Drängen nachgegeben, mit ihnen dort zu feiern.
«Du hast dieses Lokal wirklich schön hergerichtet», sagte Kitty.
«Danke», erwiderte Cara höflich.
«Du willst in deiner neuen Arbeit nicht mit diesen Fingernägeln auftauchen», hatte Kitty erklärt. Sie saßen in Monique’s Haar- und Nagelsalon. Zwei junge Frauen machten sich an ihren Nägeln zu schaffen. Dazu dröhnte Musik aus einem Fernseher.
«Und ich dann zu ihm, also, kommt ja nicht in Frage!», sagte die eine Nagelpflegerin zur anderen.
«Echt jetzt?», erwiderte die andere junge Frau.
Millie sah zu Kitty, und beide mussten lachen.
«Möchten Sie French oder bunt lackiert?», fragte die eine.
«French Maniküre, bitte.»
«Gehen Sie schick aus?», erkundigte sich das Mädchen.
«Nein. Ich verbringe nur ein bisschen Zeit mit meiner Mum und gehe zur Arbeit.» Rasch sah Millie zu Kitty hinüber. Sie
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