Bis du stirbst: Thriller (German Edition)
ein seltsam aussehendes Meereslebewesen, das entweder umgestülpt ist oder aus Eingeweiden besteht.
Das Restaurant liegt an der Macclesfield Street, ganz in der Nähe der pagodenartigen Tore nach Chinatown. Ein Teil des Ladenfensters wird von der Speisekarte verdeckt und einem Schild, das ein warmes Flatrate-Buffet für 4, 9 5 Pfund anbietet.
Ein weißer Mercedes-Lieferwagen parkt vor dem Hofeingang, mit dreißig Zentimetern Luft auf jeder Seite. Sami versucht es an der Hintertür. Abgeschlossen. Er geht die Seite entlang und versucht es an der Fahrertür. Sie geht auf. Ein richtiger Krimineller wüsste, wie man ein Auto kurzschließt. Das ist es, was er im Knast hätte lernen sollen, etwas Nützliches, etwas fürs Leben.
Vielleicht ist der Fahrer des Wagens im Restaurant, denkt Sami.
Eine Glocke klingelt über der Tür, als er sie aufdrückt. Das Lokal ist fast leer. Die mittägliche Stoßzeit ist vorüber. Ein Paar zahlt gerade an der Kasse. Ein Mädchen im Rollstuhl sitzt mit seiner Mutter zusammen. Der Fahrer ist allein an einem Tisch, so tief über seinen Teller Wantan-Suppe gebeugt, dass der Löffel kaum seine Lippen verlassen muss.
Er sieht aus wie ein Skinhead, mit kurzrasierten Haaren und schorfigen Knöcheln. Vielleicht fährt der tagsüber den Lieferwagen und verbringt die Nächte damit, die Scheiße aus Schwulen, Pakistanis und Man-U-Anhängern herauszuprügeln.
Sami nimmt an einem Tisch daneben Platz. Die Kellnerin ist Chinesin und gerade aus der Pubertät heraus, mit glänzend schwarzem Haar und einem geraden Pony. Alles an ihr ist klein, außer den mandelförmigen Augen in der Farbe von verbranntem Toast.
Ihr Namensschild besagt Lucy . Die Frau an der Kasse ist vermutlich ihre Mutter – eine ältere Ausgabe von ihr. Kleiner, nicht so hübsch, mit einem ungerührten Gesicht und winziger, randloser Brille. Und das da müsste ihr Vater sein, im weißen Kittel des Kochs, die schwingenden halbhohen Türen zur Küche aufhaltend. Sein Kopf ist rasiert, und er hat O-Beine.
Sami erinnert sich an seinen Großvater, der ein japanisches Kriegsgefangenenlager in Burma überlebt hatte und dem jedes Mal der kalte Schweiß ausbrach, wenn er ein asia tisches Gesicht sah. Mehr als einmal hatte er japanische Touristen gesehen und reagiert, als stünde er vor General Tojo selbst.
Lucy bringt dem Lieferwagenfahrer eine Tasse grünen Tee.
»Das hab ich nicht bestellt«, sagt er.
»Es ist gratis.«
»Was gibt’s denn sonst noch gratis?« Seine Hand streift ihr Knie und gleitet ihr Bein hinauf, bis sie den Saum ihres Rocks berührt.
Lucy macht einen Schritt zurück.
Der Fahrer zwinkert Sami zu. »Ich steh auf Schlitzaugen. Die sind wie ihr Essen – man frisst sich voll, und eine Stunde später hat man schon wieder Hunger.«
Der nasale Akzent verrät seine Herkunft aus dem Norden.
»Waren Sie schon mal in Thailand?«, fragt er.
»Nein.«
»Da haben die Barmädchen, die Pingpongbälle aus ihrer Möse abschießen können«. Er produziert den entsprechenden Geräuscheffekt. »Und ich sag Ihnen noch was. Die haben vielleicht geschlitzte Augen, aber ihre Mösen sind ganz gerade, von oben bis unten, wissen Sie, was ich meine? Eng und süß.«
Er gibt sich nicht einmal Mühe zu flüstern. So ist das mit vielen aus dem Norden. Die denken, sie sind lustig, aber meistens sind sie nur rechthaberisch und peinlich.
Die Schlüssel zum Wagen hängen an seinem Gürtel. Vielleicht sollte Sami den Kerl einfach niederschlagen und sich die Schlüssel nehmen. Aber wie weit käme er damit?
»Mit den Bangkok-Mädchen ist das so, wissen Sie?« Der Fahrer lehnt sich über den Tisch. »Die sehen vielleicht wie Jungfrauen aus, aber die vögeln wie der Teufel, verstehen Sie? Und wenn Sie sie jung wollen, dann müssen Sie unbedingt nach Thailand. Ich rede nicht von Minderjährigen. Ich bin kein Pädo. Aber die Miezen sehen einfach jünger aus, wissen Sie.«
Irgendwann merkt Sami, dass er nicht mehr zuhört. Vielleicht ist es der Geruch des Essens oder die nicht besonders fesselnde Unterhaltung. Er hat seit gestern nichts gegessen.
Der Fahrer hat das Thema gewechselt. »Wir sollten die ganzen Arschlöcher rausschmeißen oder sie an die Wand hängen, verstehen Sie mich?«
Lucy bringt ihm einen Teller mit Rippchen und noch einen mit gebratenem Reis. Er nimmt eine Rippe in die Hand und nagt sie bis auf den Knochen ab, leckt sich die Sauce von den Fingern.
»Ist das Ihr Lieferwagen, der da vor der Einfahrt steht?«, fragt
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