Bis du stirbst: Thriller (German Edition)
könnten in fünfzehn Sekunden bei den Geiseln sein, bis auf die eine im Lagerraum.
Das größte Fragezeichen sind die Sprengfallen, die womöglich in dem Laden postiert sind. Wenn Macbeth eine Bombe hat, könnte er sie so manipuliert haben, dass sie bei dem Versuch explodiert, die Geiseln zu befreien. Der Sprengstoff, der bei dem U-Bahn-Anschlag verwendet worden ist, war TATP , hausgemacht und hochexplosiv. Die Erschütterung durch die Druckwelle könnte eine Kettenreaktion hervorrufen.
Die Hotline klingelt. Es ist der Polizeipräsident. Piper sucht Blickkontakt mit seinen Vorgesetzten, die zusehen und mithören.
»Bei allem Respekt, Sir, wir brauchen den SAS nicht.«
Piper zieht die Backen ein. Sein Mund ist klein geworden.
»Ja, Sir.«
»Nein, Sir.«
»Meine vollständige Kooperation, Sir.«
Verdammter SAS ! Gut, die können sich von Dächern abseilen und durch Fenster schwingen. Sie sind süchtig nach Ruhm. Schlagzeilenjäger. Sie sind wie Piranhas – sie greifen nur dann an, wenn sie Blut im Wasser riechen.
Und das alles nur wegen de Menezes, denkt Piper. Ein toter Brasilianer, und der Polizeipräsident sucht Deckung im hohen Gras.
Die anderen warten auf Instruktionen.
»Wie wollen Sie vorgehen, Sir?«
»Er bekommt den Wagen.«
37
Sami fühlt sich, als sei es der erste Tag seines Lebens und nicht der letzte. Es ist ein Flattern tief in seiner Magengrube, fiebrige Aufregung gemischt mit Angst. Er geht zwischen den Tischen auf und ab und sucht nach einem Ausweg.
Sie denken, er sei ein Terrorist. Sie haben Angst vor ihm. Er hat Angst vor ihnen. Er muss sich diese Tatsachen zunutze machen, statt davor wegzulaufen.
Lucy kommt auf ihn zu, ihre Schritte so klein und leicht, dass sie kaum ein Geräusch verursachen.
»Haben Sie wirklich den U-Bahn-Wagen in die Luft gesprengt?«
»Nein.«
»Aber Sie sind ein Terrorist?«
Sami schüttelt den Kopf.
Lucy sieht ihn ungläubig an. Sie will eine Erklärung.
Sami zuckt die Schultern. »Ich war zur falschen Zeit mit den falschen Leuten am falschen Ort.«
»Heute?«
»Heute … vor drei Jahren … das ist die Geschichte meines Lebens.«
Lucy wartet auf mehr. Sami gibt sich Mühe zu erklären.
»Hast du jemals für etwas die Schuld bekommen, was du nicht getan hast, und hat dir, egal wie oft du es abgestritten hast, keiner geglaubt?«
Lucy nickt. »Ich hatte mal eine Lehrerin, die behauptete, ich hätte abgeschrieben. Ich habe versucht, mit ihr darüber zu diskutieren, aber sie hat sich geweigert, meinen Text noch einmal anzusehen.«
Sami kann verstehen, wie ärgerlich so etwas sein muss. »Wie lange ist das her?«
»Vier Jahre.«
»Das war unfair, aber wenn du dich ganz ehrlich erinnerst, gab es vielleicht ja auch Gelegenheiten, bei denen du mit etwas davongekommen bist. Wo man dich entweder nicht erwischt hat oder jemand anderem die Schuld dafür in die Schuhe geschoben wurde, was du getan hast.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Ich will sagen, dass das Glück nicht gleichmäßig verteilt ist. Ich habe jahrelang darauf gewartet, dass die Dinge wieder ins Lot kommen. Ich habe einfach Pech.«
»Das hört sich nach Ausreden an.«
»Meinst du wirklich? Ich habe so oft darüber nachgedacht. Nächtelang. Ich habe fast drei Jahre im Bau verbracht, habe die Wände einer Gefängniszelle angestarrt und gedacht, vielleicht war da ja was, was ich falsch gemacht habe und woran ich mich nicht erinnere – irgendeinen Ärger oder einen Fehler aus Unachtsamkeit, wie ein kaputtes Auto zu verkaufen oder das Fernlicht nicht abzublenden. Habe ich vielleicht aus Versehen jemanden umgebracht? Fährt vielleicht jemand wie Persephone in einem Rollstuhl herum oder hat keinen Vater mehr wegen etwas, das ich getan habe? Wenn das aber nicht der Fall ist – dann habe ich nichts getan, um dieses Leben zu verdienen. Wenn ich wegen nichts und wieder nichts das alles hier durchmachen muss, dann, dann werde ich nämlich zu einem ziemlich verbitterten Mistkerl. Unversöhnlich. Es könnte sogar sein, dass ich Lust darauf bekomme, jemanden umzubringen oder mich selbst.«
Lucy hebt ihr Kinn etwas an und kneift die Augen zusammen. »Man bestraft keine unschuldigen Menschen dafür, dass man Pech gehabt hat. Es hört sich an, als wollten Sie Fehler von gestern wiedergutmachen. Das geht nicht. Haken Sie sie ab. Fangen Sie neu an.«
»Du bist ganz schön schlau für dein Alter.«
»Ich bin einundzwanzig.«
»Du siehst jünger aus.«
Ihr Haar ist kurz und im Nacken gerade
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