Bis du stirbst: Thriller (German Edition)

senkt die Augen auf den aufgeschlitzten Orientteppich. »Sagen Sie nichts bei meiner Arbeit. Ich verliere sonst meinen Job.«
    Wasser läuft langsam über den Boden. Ruiz findet den Haupthahn im Bad und stellt ihn ab.
    »Wusste sonst noch jemand, dass Sami hier war?«
    Kate schüttelt den Kopf.
    »Sie haben es niemandem gesagt – einer Freundin oder einem Freund?«
    »Nein.«
    Kate zieht eine Zigarette aus dem Päckchen, das neben einer zerbrochenen Schublade ohne Boden auf dem Boden liegt. Ihre Hand zittert, als sie versucht, das Rädchen am Feuerzeug zu drehen. Ruiz tut es für sie. Sie hält die Zigarette in verkrampften Fingern, ohne den Versuch zu machen, sie zu rauchen. Das Wasser hat ihre Schuhe erreicht.
    Ruiz nimmt sie ihr ab. Setzt sich zu ihr.
    »Hören Sie zu, Kate, ich glaube, Sie wissen, in was für Schwierigkeiten Sami steckt. Er wird gesucht. Nicht nur von der Polizei. Sondern auch von Leuten, die ihn töten wollen. Hat Sami irgendetwas erzählt?«
    »Jemand hält seine Schwester gefangen. Sami versucht, sie wiederzubekommen.«
    »Hat er Namen genannt?«
    »Heute Morgen hat er jemanden angerufen. Ich kann mich nicht an den Namen erinnern.«
    »War es Tony Murphy?«
    »Ja, der war’s. Sami wollte ein Treffen arrangieren.«
    »Warum?«
    »Ich weiß nicht.«
    Ruiz sieht sich in der Wohnung um. »Hat Sami etwas, das Murphy möglicherweise haben will?«
    »Er hatte eine Waffe.«
    »Was für eine Waffe?«
    »Eine schwarze.«
    Das muss die Beretta aus dem Safe im Old Bailey sein. Ray juniors Waffe.
    Ein Polizeiauto ist draußen vorgefahren. Ruiz gibt Kate seine Visitenkarte.
    »Wenn Sami Sie anruft, möchte ich, dass Sie ihm diese Nummer geben. Ich kann ihm nichts versprechen, aber wenn er mir sagt, warum er das alles tut, kann ich ihm vielleicht helfen.«
    Sie nimmt die Karte in die Hand, presst das nasse Taschentuch dagegen.
    »Wie werden Sie ihm helfen?«
    »Ich glaube, dass Sami da in etwas hineingeraten ist, das größer ist als er. Er versucht, aus dem Schlamassel herauszukommen, aber stattdessen gerät er immer tiefer hinein.«
    Die Sprechanlage klingelt. Ruiz geht auf der Treppe an zwei Polizisten vorbei. Draußen beobachtet er, wie noch ein Zug in Richtung Clapham Junction vorbeirattert. Laub tanzt in seinem Windschatten, und ein graues Eichhörnchen schießt den nächsten Baum hinauf, wo es erstarrt und tut, als wäre es eine Statue.
    Es geht um die Waffe, denkt Ruiz. Murphy hat sie stehlen lassen, aber warum? Er könnte für Ray Garza arbeiten oder versuchen, ihn zu erpressen. Oder vielleicht stecken die beiden in einer Art Revierkampf.
    Murphy hat auf Bestellung Autos gestohlen, als er noch ein Teenager war, in den Straßen von Dublin, Manchester und London, hat sie nach Osteuropa und Nordafrika verschifft. Garza war in ähnliche Geschäfte verwickelt, hat nach dem Ersten Golfkrieg geplünderte Fahrzeuge aus Irak und Kuwait herausgeschafft. Vielleicht hatten sie dasselbe Verkaufsnetzwerk oder haben dieselben Zollbeamten und Grenzbeamten bestochen.
    Aber da hören die Gemeinsamkeiten auf. Reich und mit guten Verbindungen ist Garza zu einer Figur des Establishments geworden, während Murphy immer ein Gangster bleiben wird, egal wie viele Gartenpartys er schmeißt.
    In der Zwischenzeit ist Sami Macbeth wieder verschwunden – gewaltsam entführt, vielleicht auf Dauer. Vielleicht ist seine Glückssträhne jetzt doch zu Ende, denkt Ruiz, obwohl er nicht davon überzeugt ist. Das Kerlchen ist wie Lazarus mit einem dreifachen Bypass.

52
    Sami erwacht in einem Bett, das fast so weich ist wie das im Savoy. Die Vorhänge sind offen. Licht fällt auf die Bettdecke, lässt Staubkörnchen aufleuchten, die unmittelbar außerhalb seiner Reichweite schweben.
    Sami sieht nach unten. Unter einem blauen Bademantel, der auf den Hüften zusammengebunden ist, ist er nackt. Jemand hat seine Kleider genommen. Er steht auf, öffnet einen Kleiderschrank und findet eine Auswahl von Jeans in seiner Größe, neben Baumwollpullovern in verschiedenen Farben und einer Öljacke mit einem Futter aus Fleece. Sechs Schuhkartons stapeln sich auf dem Boden, sie enthalten Nike-Turnschuhe, italienische Slipper und Oxford-Halbschuhe – alle in Samis Größe.
    Unheimlich. Er versucht, nicht darüber nachzudenken.
    Nachdem er sich angezogen hat, geht er ans Fenster und zieht die Vorhänge auseinander. Er ist wohl in einer Art Landhaus. Die Einfahrt aus Marmorkies führt um einen Brunnen herum und folgt einer Eichenallee zu einer