Bis einer stirbt
hätte.
»Pit, nicht Pete«, beharrte ich. »Das ist mein kleiner Bruder.«
»Also, wie gesagt, Schneckchen, den kennen wir nicht. Nie von ihm gehört. Eigentlich sind wir auch aus dem Alter raus, wo man sich mit Kindern abgibt. Okay?«
»Aber …«, setzte ich noch mal an.
»Komm, lass!«, sagte Nils und zog mich zurück. »Du hörst doch, sie kennen ihn nicht. Lass uns gehen.«
»Ein kluger Junge«, meinte der Typ grinsend, »dein Freund hier. Du solltest viel öfter auf ihn hören.«
Wir drehten uns um und gingen.
»Die Kleine soll ruhig hier bleiben!«, rief Mundgeruch aus dem Hintergrund. »Guck dir nur mal den Arsch an! Ich kann dir gern mal meinen Pete zeigen, Mäuschen.« Er lachte dreckig. Der andere knallte die Tür zu. Trotzdem konnte ich ihn noch brüllen hören: »Jetzt halt deine blöde Schnauze! Verdammter Vollidiot!«
Schon standen wir wieder in der Kneipe.
»Was war das denn jetzt?« Nils sah verwirrt aus.
Nachdem ich mich einen Moment gesammelt hatte, wollte ich zurück.
»Wir müssen da noch mal rein«, sagte ich. »Die haben doch gesponnen. Was ist, wenn Pit denen in die Fänge geraten ist?« Energisch hielt Nils mich zurück. »Stopp!«, sagte er entschieden. »Du gehst da nicht wieder rein. Das ist viel zu gefährlich und hat überhaupt keinen Sinn. Wenn du denen auch noch in die Hände fällst, wird das mit Sicherheit nicht lustig. Besser, wir verschwinden hier. Und zwar so schnell wie möglich.«
Was war das denn jetzt? Sorgte Nils sich etwa um mich? Ich verzichtete darauf nachzuhaken, während er mich Richtung Ausgang schleifte.
»Du findest also auch«, sagte ich verbindlich, »dass hier was absolut nicht okay ist? Dass die gelogen haben?«
»Natürlich haben sie das«, meinte Nils, als wir draußen waren. »Und natürlich stinkt es hier zum Himmel, womit ich nicht nur den Mundgeruch von diesem Ekeltypen meine.«
»Aber Pit …« Nils’ Worte steigerten meine Angst um ihn nur noch mehr. Es war, als spürte ich am eigenen Leib die Gefahr, in der er sich befand.
»Wir dürfen jetzt nicht in Panik geraten«, versuchte Nils, mich zu beruhigen. »Lass uns einfach den nächsten Schritt überlegen. Der ist immer der wichtigste.«
Wir traten auf die Straße. Neben dem Moby Dick parkte ein dicker amerikanischer Schlitten, hellblau und mit Hamburger Nummernschild. Ich zweifelte nicht daran, dass er unseren beiden neuen Freunden gehörte. Kein Auto hätte besser zu ihnen gepasst.
Wir gingen runter zum Hafen. Es war schon fast dunkel. Nach dem sonnigen Tag kam jetzt vom Wasser her langsam wieder Nebel angekrochen. Aber es war ein paar Grad wärmer als gestern, fast angenehm.
Nils fragte mich nach Pit und ich erzählte von ihm. Nachdem ich einmal damit angefangen hatte, konnte ich nicht so leicht wieder aufhören, denn Pit war der wichtigste Mensch in meinem Leben, das musste ich zugeben.
»Auch wenn zwischen uns oft die Fetzen geflogen sind, haben wir nach außen hin immer zusammengehalten.«
»Auch gegen eure Eltern?«, fragte Nils.
»Na klar.« Ich lächelte. »Aber in letzter Zeit ist irgendwie alles anders geworden. Er erzählt überhaupt nichts mehr.«
Wir schlenderten nebeneinander her. Ich war mir nicht sicher, warum ich das alles ausgerechnet Nils erzählte.
Ein älteres Ehepaar spazierte langsam an uns vorbei. Sonst war weit und breit kein Mensch zu sehen. Die Frau lächelte freundlich, auch der Mann nickte uns zu. Seine Augen blinkten hinter dicken Brillengläsern. Die beiden redeten nicht miteinander, sie wirkten ausgesprochen friedlich. Überhaupt war hier alles so still wie auf dem Mond. Meine eigene Unruhe nahm ich dadurch noch deutlicher wahr. Der Nebel schluckte die beiden Alten und ich vergaß meine Gedanken.
Rechts von uns dümpelten ein paar runtergekommene Frachtschiffe im dunklen Wasser vor sich hin, links lagen riesige Lagerhallen, die kaum noch genutzt wurden. Es roch dumpf nach Brackwasser und nach dem Qualm, der aus einem abgelegenen Schornstein kam.
Auch wenn dieser Kamin noch rauchte, war doch die goldene Zeit der Stadt lange vorbei. Hier standen nicht nur die Lagerhallen am Hafen leer, sondern auch viele Wohnungen, in welchem Viertel man sich auch umsah. Die Menschen gingen weg, weil es keine Arbeit mehr gab. Ich fand das total deprimierend. »Ich hab keine Geschwister«, sagte Nils. »Meine Alten haben immer ziemlich viel gestritten und ich saß wie belämmert dazwischen.«
»Dann kannst du ja froh sein, dass dein Vater weg ist.« Ich klang
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