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Bis einer stirbt

Bis einer stirbt

Titel: Bis einer stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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verschwieg ich Nils auch weiter, dass ich jetzt nicht dorthin gehen würde.
    Der Nebel wurde immer dichter. Je näher wir dem Haus kamen, in dem meine Familie in einer kleinen Wohnung lebte, umso mieser fühlte ich mich. Praktisch in letzter Sekunde fasste ich einen Entschluss.
    »Und was ist mit deinem Bruder?«, fragte Nils in diesem Moment.
    »Ach, dem passiert schon nichts.« Vielleicht sollte ich mich demnächst auf einer Schauspielschule anmelden, ich war nicht schlecht. »Er ist das reinste Stehaufmännchen. Ich hab mich da wahrscheinlich nur in was reingesteigert.«
    Ich wollte, dass er weiterfragte, aber er tat es nicht. Erst kurz bevor ich im Hausflur verschwand, hakte er doch noch mal nach, ob wirklich alles in Ordnung sei. Dabei sah er mich so komisch an, dass ich fast schwach wurde. Aber ich sagte, er könne getrost abzischen.
    »Gib mir Bescheid, wenn dein Bruder wieder auftaucht.«
    »Sicher«, sagte ich unbestimmt. »Mach dir keine Gedanken.«
    Dann verschwand er und ich schaute auf die Uhr. Nach drei Minuten ging ich zurück auf die Straße und schlenderte ohne ein Ziel los. Ich war total erschöpft, schlapp und müde. Außerdem hatte ich Durst und wahnsinnigen Kohldampf. Eben alles, was man in so einer Situation nicht gebrauchen kann. Einfach alles.
    »Na.« Die Stimme kam von hinten. Ich zuckte zusammen, als hätte ich in eine Steckdose gefasst. »Doch noch zu einem kleinen Spaziergang entschlossen?« Wie aus dem Nichts war Nils plötzlich wieder aufgetaucht.
    »Idiot!« Am liebsten wäre ich ihm um den Hals gefallen. »Verdammter Vollidiot! Wie kannst du mich so erschrecken?«
    »Jedenfalls«, meinte er und grinste zum Glück nicht, »hat der Vollidiot Hunger. Er wird jetzt nach Hause gehen und was essen. Gehst du mit ihm? Ich glaube, er würde sich freuen.«
    Freuen, pah, er hatte Mitleid. Hatte wohl seine soziale Ader entdeckt. »Klingt nicht schlecht«, erwiderte ich trotzdem kleinlaut. »Aber deine Mutter lässt mich auf keinen Fall rein. Die Ansage war deutlich. Meine Eltern wissen nicht Bescheid.« »Voilà«, sagte er und zog ohne Triumph Notizbuch und Kugelschreiber aus seiner Jacke. »Wir müssen nur sicher sein, dass sie den Brief auch wirklich kriegen.«
    »Soll ich ihn vielleicht persönlich überreichen?«, fragte ich bitter.
    »Wir teilen uns die Arbeit«, sagte er. »Du schreibst und ich steck ihn oben in den Briefkasten.«
    Er lächelte, ich nicht.

8
    »Mit deiner Mutter konnte ich ganz vernünftig reden«, sagte Marlena.
    Immerhin. Als wir bei Nils zu Hause angekommen waren, hatte mein Vater schon angerufen.
    »Jedenfalls nachdem sie sich halbwegs beruhigt hatte«, fügte Marlena hinzu. Sie wärmte Pizza im Backofen auf. Sie hatte drei davon mitgebracht, was mir ein gutes Gefühl gab.
    Etwas später saßen wir um den kleinen runden Tisch in der Küche. Nils und ich tranken Wasser, Marlena Rotwein. Obwohl ich großen Hunger gehabt hatte, knabberte ich jetzt eher zaghaft an meiner Pizza Funghi herum.
    Bevor meine Mutter ans Telefon gekommen war, hatte mein Vater Marlena aufs Übelste beschimpft. Schließlich hatte er damit gedroht, sie wegen Kindesentführung anzuzeigen.
    »Konnte er ein so schwieriges Wort überhaupt noch aussprechen?«, fragte ich zynisch. »Kindesentführung.«
    Marlena legte eine Hand auf meinen Arm. »Wäre es nicht schlimmer«, fragte sie, »wenn er sich keine Sorgen machen würde?«
    »Ist ›Sorgen machen‹ der richtige Ausdruck, wenn er hier betrunken anruft?«
    »Er war nun mal nicht nüchtern, als er deinen Zettel gefunden hat. Das konnte er kaum noch ändern. Und den Zeitpunkt hat er sich ja nicht ausgesucht.« Sie wandte sich wieder dem Essen zu.
    Nils hatte sich bisher zurückgehalten. »Aber grad wegen seiner Trinkerei ist Klara doch hier«, sagte er jetzt.
    Hatte ich ihn vielleicht darum gebeten, mich zu verteidigen? »Außerdem gibt es noch ein Problem: Klara macht sich Sorgen um ihren Bruder.«
    Ich fand, jetzt ging er eindeutig zu weit. Ich wollte nicht über Pit sprechen, jedenfalls nicht jetzt. Marlenas Blicke flogen von Nils zu mir und sofort zurück.
    »Er ist kaum noch zu Hause«, fuhr Nils ungerührt fort. Ich wollte ihm gerade ans Schienbein treten, als er endlich das Thema wechselte. »Weißt du eigentlich irgendwas über das Moby Dick , die Kneipe in der Innenstadt?«
    »Immer langsam.« Marlena wischte sich mit der Serviette über den Mund, bevor sie einen Schluck Rotwein trank. Ihre Aufmerksamkeit schärfte sich. »Was hat das Moby

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