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Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)

Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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stand tief am Himmel, es war Flut und das spiegelnde Meer lag in ewiger Dunkelheit und Ruhe da. In die Windstille hinein fantasierte ich das süße Wabern eines Sirenengesangs, der mich hinaus in die Dämmerung lockte … ein Gesang, der von Vergangenheit und Zukunft, von Leben und Tod handelte.
    Ich hörte ihn nicht.
    Er war nicht da.
    So wie alles andere.
    Es war nichts.
    Aber das schien keine Rolle mehr zu spielen.
    Ich ging zurück ins Zimmer und zog meine Jacke an. Ich nahm die halbe Flasche Whisky aus der Reisetasche und steckte sie ein, schnupfte noch mal etwas Speed, dann ging ich wieder auf den Balkon und schloss hinter mir leise die Tür. Der Balkon lag unmittelbar über dem Strand, und auch wenn es kein Törchen oder sonst etwas gab, musste ich nur über das Holzgeländer klettern, auf der andern Seite hinunterspringen und schon stand ich im Sand.
    Ich wartete, bis das Kreisen im Kopf aufhörte, dann ging ich los.

6
    Es kann gut sein, dass ich den Gedanken an Selbstmord im Kopf hatte, als ich an jenem Abend den Strand entlanglief. Möglicherweise dachte ich an den Tod meines Vaters, an die Gründe dafür und auch an Serinas Überzeugung, dass er trotz seiner Depression nicht der Typ war, sich umzubringen. Und es kann auch sein, dass mich all das zu den vertrauten Grübeleien über mein eigenes Leben und Sterben führte, besonders wenn man die Umstände bedenkt – den Alkohol, die Drogen, die Leere … das lockende Rauschen des Meers. Es ist nicht schwer, mir auszumalen, wie ich an der Uferlinie stehe, über das bleierne schwarze Wasser blicke und mir vorstelle, in die Tiefe zu sinken und einfach zu verschwinden. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich den Gedanken erwog. Und ich bin ziemlich sicher, nach ausreichendem Überlegen wäre ich zu dem gleichen Ergebnis gekommen wie immer – dass sich selbst zu töten durchaus eine Option ist, vielleicht sogar die einzige wirkliche Lebensentscheidung, die jeder treffen kann. Doch auch ihr Effekt ist begrenzt. Sie kann die Zeit nicht zurückdrehen, deine Existenz nicht ungeschehen machen, sie kann den Makel des Lebens nicht entfernen. Das Einzige, was sie dir zu bieten hat, ist ein vorzeitiger Rückzug. Was in Ordnung ist, wenn man das will.
    Aber mir hat das nie gereicht.
    Natürlich kann es genauso gut sein, dass ich nicht an Selbstmord dachte, als ich an jenem Abend den Strand entlanglief.Vielleicht hatte ich ganz andere Gedanken. Vielleicht stand mir die traurige junge Frau vor Augen, die ich tags zuvor am Point hatte stehen sehen … Was hatte sie dort gemacht? Hatte sie einfach nur übers Watt geschaut, ganz still, während der Wind ihr durchs Haar fuhr? Und wieso war sie traurig? Vielleicht hatte ich auch gedacht, sie wäre womöglich wieder dort und ich könnte diesmal versuchen, mit ihr zu reden …
    Andererseits …
    Ich könnte auch gehofft haben, Robyn über den Weg zu laufen. Ich hatte zwar keine Ahnung, wann der Hofladen schloss oder wann sie aufhörte zu arbeiten, und es gab natürlich auch keine Garantie, dass sie den Weg am Bach zurückging, wenn sie mit der Arbeit fertig war. Aber ich könnte zumindest gedacht haben, dies müsste so in etwa die Zeit sein, zu der der Hofladen an einem nasskalten Samstagnachmittag Ende Oktober schloss, und immerhin wäre es nicht völlig unmöglich, dass Robyn nach der Arbeit den Weg am Bach zurücklief …
    Ich könnte an irgendetwas davon oder an alles auf einmal gedacht haben, als ich an jenem Abend den Strand entlanglief, und ich könnte genauso gut an nichts davon gedacht haben. Die Wahrheit ist, ich kann mich nicht mehr erinnern. Ich war betrunken, ohne Verstand, draußen in der Kälte, gestrandet in meinem eigenen Körper. Ich spürte das Rasen des Sulfats in meinem Blut, in meinem Herz, meinem Kopf, und wie es mir durch den betäubenden Alkoholnebel hindurch Auftrieb gab. Für mich schien es wie das Paradies. Ein irgendwie armseliges Paradies, mag sein … aber trotzdem das Paradies.
    Das Einzige, woran ich mich wirklich erinnere, bevor ich den Bunker erreichte, sind ein paar vage Sinneseindrücke, eine Handvoll unverbundener Momente, wie verschwommene Schnappschüsse einer lang vergessenen Reise. Das Gefühl von nassem Sand unter den Füßen, als ich die Westseitedes Strands entlanglief … das Stück Treibholz, das halb verborgen im Sand lag, sodass ich stolperte und das Teil verfluchte, dann aber über mich selbst lachen musste und schließlich in die Hocke ging, das Treibholz packte und aus dem Sand

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