Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)
nichts Dummes mehr sage.«
Sie grinste. »Einverstanden.«
»Heißt das, Sie haben mir verziehen?«
Sie sah mich an. »Ich denk schon.«
»Sie werden sich also nicht revanchieren und mir ins Frühstück spucken?«
»Nein«, sagte sie lachend. »Nein, das würde ich nie tun.«
»Wirklich?«
Sie grinste wieder. »Sehe ich so aus, als ob ich jemandem ins Essen spucke?«
Darauf antwortete ich nicht, sondern lächelte nur und trat aus dem Weg, als sie das Putzzeug einsammelte. Doch während ich zuschaute, wie sie den Stecker des Staubsaugers zog und das Kabel einrollte, sah ich, dass die Strenge in ihr Gesicht zurückgekehrt war, und dachte: Ehrlich gesagt, ja … du siehst so aus wie jemand, der einem ins Essen spuckt. Außerdem machte ich mir klar: Nur weil jemand nicht aussieht, als ob er lügt, heißt das noch lange nicht, dass er es nicht tut.
»Okay«, sagte sie und warf noch mal einen Blick durch das Zimmer. »Ich glaube, ich hab alles.« Sie schob den Putzwagen zur Tür. »Dann verschwinde ich jetzt.«
Ich folgte ihr auf den Flur und rollte den Staubsauger hinaus.
»Danke«, sagte sie.
»Kein Problem. Und noch mal, tut mir leid wegen – «
»Schon gut«, sagte sie und wischte meine Entschuldigung beiseite. »Vergessen Sie’s.«
»Gut, ja … also dann, vielleicht bis später.«
Sie nickte und verschwand den Flur entlang.
Ich ging wieder in mein Zimmer, machte die Tür zu, schloss ab und schaute durch den Spion. Kurz darauf sahich, wie Linda zurückkam. Sie tauchte dicht vor der Tür auf, ihr Gesicht verzerrt von der Fischaugenlinse, nahm den Staubsauger und verschwand wieder. Ich wartete eine Weile und behielt den Flur im Auge, ob sich draußen noch irgendwas tat, doch schließlich drehte ich mich um, griff nach der Reisetasche und trug sie hinüber zum Bett.
Es war nicht viel drin – ein paar Anziehsachen, eine halbe Flasche Whisky, Zigaretten, ein Taschenbuch … nichts von besonderem Wert. Und als ich den Reißverschluss aufzog und kurz nachschaute, schien nichts zu fehlen. Ich zog ein paar Kleidungsstücke heraus und suchte nach einer kleinen Innentasche, deren Klappe einen Klettverschluss hatte. Ich öffnete sie, nahm einen gefalteten Umschlag heraus und tastete vorsichtig das Innere ab. Wieder schien, soweit ich es beurteilen konnte, nichts angerührt worden zu sein. Als ich das Hotel am Morgen verließ, hatte der Umschlag zwei Gramm Amphetaminsulfat, ein Briefchen Kokain und einen kleinen Klumpen Haschisch enthalten.
Alles noch da.
Ich nahm das Speed aus dem Umschlag, verstaute den Rest wieder in der Reisetasche, dann ging ich zum Tisch an der Wand hinüber und goss mir einen Whisky ein. Ich wollte zwar nicht mehr betrunken sein, aber ebenso wenig wollte ich in dem verschwommenen Niemandsland zwischen betrunken und nüchtern feststecken. Das Einzige, was ich wollte, war …
Ich wusste nicht, was ich wollte.
Ich öffnete das Briefchen mit dem Speed, klopfte eine flatterige Linie heraus und schnupfte es durch eine zusammengerollte Visitenkarte. Das Sulfat brannte scharf, aber wohltuend im Rachen. Ich schnupfte kräftig, spülte den bitteren Rotz mit einem Schluck Whisky hinunter und zündete eine Zigarette an.
»Scheiße«, sagte ich zu dem leeren Zimmer. »Verdammt.«Als ich die Doppeltür öffnete und auf den Balkon hinaustrat, hatte es aufgehört zu regnen. Es war jetzt später Nachmittag und das Licht wollte gerade so langsam verschwinden. Die Sonne war von dicken grauen Wolken verhüllt und ich sah von ihr nur einen blassen orangefarbenen Schein, der sich am Horizont ausbreitete, und ein gesprenkeltes Licht, das leise auf dem Meer hin und her wogte. Das Bild wirkte zeitlos, urweltlich, unberührt …
Unbegreifbar.
Ich schlürfte Whisky, rauchte eine Zigarette, spürte, wie das Speed in meinem Blut rauschte, und fragte mich, was ich da tat. Doch es gab jetzt in meinem Herzen keine Stimme mehr, da war keine verstorbene Geliebte, die mir half und mir Antwort gab.
Stacy war fort.
Ich bin nichts …
Ich war allein.
Ich schloss die Augen und versuchte nachzudenken, bekam aber keinen Gedanken zu fassen. Nichts verweilte, alle Einfälle huschten in meinem Kopf hin und her wie die Schatten von Fledermäusen im grauen Licht und ich nahm höchstens Bruchstücke wahr – Bruchstücke von Gesichtern, Stimmen, Namen, Gefühlen –, doch nichts ergab einen Sinn. Alles war verwüstet, durcheinander, am falschen Ort.
Ich öffnete die Augen und schaute über den leeren Strand. Die Sonne
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