Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)
zweifellos tun. Deshalb hatte es überhaupt keinen Sinn zu lügen. Jedenfalls in dieser Sache nicht.
»Ja, genau, dachte ich mir doch, dass ich Sie von irgendwoher kenne«, sagte Boon. »John Craine … natürlich … Sie waren vor ein paar Wochen in den Nachrichten, stimmt’s?«
Ich nickte.
Er grinste. »Ich glaube, Sie haben im Fernsehen einen Reporter ein verficktes Arschloch genannt.«
Ich zuckte die Schultern.
Boon sah mich an. »Das war doch der Anna-Gerrish-Fall, oder?«
»Ja.«
Er schwieg einen Moment, tief in Gedanken, und ich starrte ihn bloß mit leerem Gesicht an, um ihm zu signalisieren, dass ich ihm nichts Näheres über meine Verwicklung in den Anna-Gerrish-Fall erzählen würde.
»Leitet noch immer Mick Bishop die Untersuchung?«, fragte er.
»Soweit ich weiß, ja«, sagte ich und zuckte wieder die Schultern. »Ich habe nichts mehr damit zu tun.«
»Wirklich?«
»Rufen Sie Bishop an, wenn Sie wollen«, sagte ich und fixierte Boon. »Ich bin sicher, er wird Ihnen gern alle Fragen beantworten.«
Ich wusste nicht, ob Boon Bishop persönlich kannte oder nur vom Hörensagen, doch auf jeden Fall würde ihm klar sein, dass man Mick Bishop nicht einfach anrufen und ihm Fragen stellen konnte, erst recht nicht zu einem seiner Fälle – jedenfalls dann nicht, wenn man wusste, was für einen gut war. Und als ich die Vorsicht in Boons Augen aufblitzen sah, war mir klar, dass ich recht hatte.
»Das heißt …«, sagte er, auf einmal zurückhaltend. »Der Grund für Ihr Hiersein, hier auf der Insel … das hat nichts mit dem Gerrish-Fall zu tun?«
Ich schüttelte den Kopf. »Im Moment arbeite ich an gar nichts, sondern versuche ein bisschen Abstand zu kriegen. Wie ich schon sagte: Ich will mir nur die Presse vom Leib halten, deshalb der geänderte Name.«
»Okay«, sagte er und seine Selbstsicherheit kehrte zurück. »Das ist nachvollziehbar … aber es erklärt noch nichts, oder?«
»Was wollen Sie denn wissen?«
»Na ja, als Erstes würde ich gern wissen, was Sie da heute Abend eigentlich getrieben haben – im Dunkeln am Strand, im strömenden Regen und total zugedröhnt.« Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an und wartete auf eine Antwort.
»Das ist ja kein Verbrechen, oder?«, sagte ich.
»Kommt drauf an.«
»Worauf?«
»Na ja, Sie haben doch nicht bloß getrunken, oder? Ich seh’s in Ihren Augen, dass Sie auch noch was anderes genommen haben, Kokain oder Speed, würd ich mal schätzen, und Sie wissen ja wahrscheinlich, dass der Besitz von Drogen der Klasse A hart bestraft wird.«
Mir war klar, dass er wohl kaum begeistert wäre über den Hinweis, dass Speed zu den Klasse-B-Drogen zählte, deshalb hielt ich den Mund und sah ihn an.
»Und was haben Sie überhaupt da draußen am Bunker gemacht?«, fragte er.
»Nichts … ich bin nur …«
»Nur was?«
»Hören Sie«, sagte ich seufzend. »Ich hab überhaupt nichts gemacht , klar? Im Lauf des Tages habe ich ein bisschen was getrunken, wahrscheinlich ein bisschen zu viel, und bin dann einfach am Strand spazieren gegangen, um den Kopf frei zu kriegen, das ist alles. Als ich zum Bunker kam … keine Ahnung, ich war ein bisschen müde, nehme ich an. Ich bin stehen geblieben, um eine zu rauchen, undhab mich umgeschaut, verstehen Sie … bloß so aus Neugier …«
»Aha«, sagte Boon wenig überzeugt. »Und was war dann mit der Leiche? Was sollte das Ganze?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich dachte wirklich, ich hätte sie gesehen … ehrlich, ich hätte schwören können, dass sie da war.«
»Und was glauben Sie jetzt?«
»Keine Ahnung … ich muss ziemlich betrunken gewesen sein. Ich war durchgefroren, nass und müde …«
»Sonst noch was?«
Ich zögerte einen Augenblick, wog die Folgen ab, die es wohl hätte, falls ich zugab, ein bisschen Speed genommen zu haben, und ich war mir relativ sicher, dass er nichts unternehmen würde, wenn ich die Wahrheit sagte. Trotzdem entschied ich mich letztlich dafür, kein Risiko einzugehen.
»Ich hab mir unlängst einen Knochen gebrochen«, erklärte ich und zeigte ihm meine verbundene Hand. »Ich hab Schmerztabletten genommen …« Dann zuckte ich wieder mit den Schultern. »Vielleicht hab ich’s ja ein bisschen übertrieben.«
Boon nickte, doch wieder war ich unsicher, ob ihn meine Aussage richtig überzeugte. »Sie wollen mir also sagen, Sie waren so durch den Wind vom Alkohol und den Schmerztabletten, dass Sie etwas gesehen haben, was gar nicht da war?«
»Eine andere Erklärung
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