Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)
Balkon.
Ein leiser Regen fiel, grau wie immer, und der Himmel hing schwer und tief. Der Strand war leer, die Flut hatte eingesetzt und weit draußen am Horizont war gerade noch so ein Containerschiff zu erkennen.
Ich zündete eine Zigarette an, starrte nach unten auf den Sand und versuchte mich zu erinnern, wo der Metallpflockgesteckt hatte. Es gab nichts, was darauf hinwies, dass dort je etwas gewesen war – keine Vertiefung im Sand, keine Fußabdrücke, nichts. Doch der Sand war feucht, regendurchnässt, deshalb war es gut möglich, dass das, was sich einmal an Hinweisen dort befunden hatte, längst vom Regen ausgewaschen war. Ich schaute weiter, suchte den Bereich direkt vor dem Balkon ab und nach einer Weile entdeckte ich etwas. Ich beugte mich vor, reckte mich über das Geländer und betrachtete ein kleines Stück trockenen Sand gleich links von dem rechten Balkonpfeiler. Der Boden dort war durch den Pfeiler vor dem Regen geschützt und am Rand des schmalen trockenen Streifens erkannte ich einen kleinen dunklen Fleck. Wahrscheinlich war es nichts von Bedeutung – nur ein Tropfen getrocknetes Öl oder so was –, doch ich stieg trotzdem über das Balkongeländer und hockte mich auf den Boden, um mir den Fleck genauer anzusehen.
Aus der Nähe betrachtet ließ sich immer noch schwer erkennen, was es sein könnte. Ich war mir ziemlich sicher, dass es der Tropfen einer Flüssigkeit sein musste, die, obwohl im Sand getrocknet, nicht so aussah, als ob sie schon lange dort wäre. Der Fleck war nicht schwarz genug für Öl, aber dunkel … bräunlich dunkel mit einem Stich ins Rote.
War es Blut?
Möglicherweise …
Konnte es mein Blut sein? Ich hatte kürzlich ein paar Schläge auf den Kopf bekommen und auch ein paar blutende Wunden gehabt, und ich war immer wieder auf dem Balkon gewesen …
Es konnte also durchaus mein Blut sein.
Doch wenn jemand gestern hier draußen gewesen war und mir mit Mark Allens Kopf einen grausamen Halloween-Streich gespielt hatte …
Es konnte auch sein Blut sein.
Ich zog mein Handy heraus und fotografierte den Fleck aus der Nähe, dann richtete ich mich wieder auf, trat ein paarSchritte zurück und machte ein weiteres Foto. Danach kletterte ich über den Balkon zurück ins Zimmer, fand in einer der Schubladen einen Umschlag, schnappte mir einen sauberen Teelöffel, stieg noch einmal hinunter, grub den getrockneten Fleck aus und beförderte ihn mit Sand und allem in den Umschlag.
Als ich den Umschlag zugeklebt und in die Tasche gesteckt hatte und mich gerade am Balkongeländer wieder hochzog, erhaschte ich plötzlich einen kurzen Blick auf mich selbst in dem bis zum Boden reichenden Spiegel an der gegenüberliegenden Wand meines Zimmers, und es war ein derart armseliger Anblick, dass ich – Klischee hin oder her – wirklich nicht wusste, ob ich lachen oder weinen sollte. Die Gestalt im Spiegel sah so schrecklich erbärmlich aus – ein vierzigjähriger Mann mit dem Gesicht eines verprügelten Säufers von der Straße, in einem billigen schwarzen Anzug, ohne Schuhe und Socken, der sich mit brennender Zigarette zwischen den Lippen über das Balkongeländer hievt und mit blutunterlaufenen Augen blinzelt, um den Rauch abzuhalten … verdammte Scheiße, was glaubt der eigentlich, was er da tut? Gräbt mit einem Teelöffel Sand aus, befördert ihn in einen Umschlag … wie so ein CSI- besessener Irrer, der meint, er wäre Gil Grissom …
Auf einmal musste ich lachen …
Das Lachen verwandelte sich in ein trockenes Husten …
Und ich verlor das Gleichgewicht, kippte vom Geländer und landete auf dem Rücken.
Und da lag ich – rücklings auf dem Balkon, dämlich den Himmel angrinsend –, als ich plötzlich ein Klopfen an der Tür hörte.
Irgendwas an dem Klopfgeräusch ließ mich an Mark Allen denken, und während ich zur Tür wankte und durch den Spion spähte, wusste ich nicht genau, was ich empfinden würde, wenn ich ihn plötzlich auf dem Flur stehensähe. Natürlich wäre ich froh, ihn am Leben zu wissen, aber andererseits …
Egal.
Es war nicht Mark Allen.
Wie auch? Mark Allen war tot.
Es war Linda. Sie trug eine Schürze und hatte ihren Putzwagen dabei, doch mir schien, als ob sie nicht käme, um bei mir sauber zu machen. Ich öffnete die Tür und wollte sie hereinbitten, aber sie ließ mir überhaupt keine Chance, etwas zu sagen, sondern drängte sich einfach an mir vorbei und marschierte ins Zimmer.
»Moment«, fing ich an. »Was machen Sie – ?«
»Schließen Sie
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