Bis hierher und weiter - Mit allen Nockherberg-Reden von Bruno Jonas

an oder Kaffee, back einen Kuchen und frag, ob du behilflich sein kannst. Nerve sie mit Fragen, so wie du mich sonst immer nervst. Aber jetzt lass ihn verschwinden!
    Nicht den Staatsanwalt. Trudilein! Die Unterlagen! Ja, steck ihn dir unter den Pullover!
    Was? Den Staatsanwalt?
    Nein! Lass dir was einfallen. Und wenn du Hilfe brauchst, ruf mich an, und falls ich grad im Flugzeug bin, dann ruf den Harald an, der hilft dir dann schon weiter. Tschüss, äh, Trudilein! Ich glaub an dich.
Beendet das Gespräch.
    Pause
Unwirsch kommt nach der Pause mit Handy in der Hand zurück auf die Bühne.
     
    Das ist jetzt komisch. Ich ruf grad bei mir daheim an und erwarte die Trudi am Telefon, und wer ist dran? Der Strohmaier. Frage ich, was machst denn du da?
    Ja, sagt er etwas erschöpft, die Sache mit der Staatsanwaltschaft wäre der Trudi ziemlich an die Nerven gegangen, und da habe sie ihn um Hilfe gebeten, und da hätt er nicht anders können und wäre ihr kurz beigesprungen. Das war seine Formulierung. »Kurz beigesprungen.« Das ist aber sehr beruhigend, sage ich. So viel Mitgefühl habe ich ihm gar nicht zugetraut. So kenn ich ihn gar nicht, den Harald. Ich bin ganz froh, dass der Harald die Sache in die Hand genommen hat. Wenn man die Staatsanwaltschaft im Haus hat, dann ist das meistens nicht lustig. Aber der Harald kann mit solchen Situationen gut umgehen. Der bringt dazu die nötige gelassenheit mit. Wenn der Harald da ist, bin ich beruhigt, weil dann hat die geschichte gleich eine kombinierte Matrixstruktur.
    Jetzt fragen Sie sich vielleicht, was das ist, eine kombinierte Matrixstruktur? Also, auf einen einfachen Nenner gebracht, bedeutet das, dass sich mehrere Chefs einen Schuldigen teilen. Den müssen wir allerdings noch ausfindig machen.
Plötzlich ein wenig ungehalten.
    Scheiße. Da hat uns einer verpfiffen. Diese kommunikative Inkontinenz nimmt zu. Wer hat denn da das Maul wieder nicht halten können? Haben wir einen Whistleblower in der Firma? Solche Arschlöcher nennen wir Whistleblower in der Branche. gibt es immer wieder, dass einer das Maul nicht halten kann. Es ist traurig. Aber das ist der Mensch. Ist normal. Leider. Die geschichte ist voll von diesen charakterlosen Arschlöchern.
    Entweder es hat sich einer blöd angestellt und falsch geschmiert oder es hat einer zu wenig gekriegt. Sei’s, wie’s sei. Da hat einer das Maul nicht halten können. Vielleicht die Nerven verloren. Aus welchen gründen auch immer. Irgend so ein charakterloses Arschloch!
    Zu was machen wir eigentlich unsere Ethikseminare? Da geben wir einen Haufen Geld aus im Bereich Firmenkommunikation, um unsere Leute zu schulen, da holen wir uns den Pater Bilgri ins Haus, den ehemaligen Benediktiner, damit er den Leuten eine Moral verpasst und eine Wertekultur beibringt, und dann haben wir einen Whistleblower in den eigenen Reihen. Ja gibt’s das auch.
    In einem Unternehmen muss man doch zusammenhalten und das Maul halten! Der Werteverfall ist nicht mehr aufzuhalten. Man kann sich auf die Leute nicht mehr verlassen. Es gibt keine Ehrlichkeit mehr. Jeder trägt heute eine Maske. Spielt dir irgendetwas vor. Täuschung, wohin man schaut. Überall nur Taktik, Strategie und Intrige.
Zerknirscht.
    Scheiße! Nein, nein, nein, ich versteh das nicht. Es muss einer von den Beteiligten gewesen sein. Einer aus dem innersten Kreis. Qualig. Wesendonk, Strohmaier oder ich!
    Ich könnte es auch gewesen sein. Logisch, warum nicht? Ich habe mich schon öfter im Verdacht gehabt! Ich könnte mir sogar vorstellen, dass ich es gewesen bin. Weil ich keinen freien Willen habe. Das habe ich auch nicht gewusst, ich habe es erst kürzlich erfahren. Das haben Wissenschaftler rausgefunden, dass der Mensch keinen freien Willen hat. Ich habe es gleich überprüft bei mir und ich kann es bestätigen. Mein Wille ist absolut frei, der macht, was er will.
    Der raucht eine Schachtel Zigaretten, trinkt sechs Weißbier, genauso viele Obstler dazu, der packt einen fetten Schweinebraten mit zwei Knödeln, bis der Ranzen pfeift, danach ist mir sauschlecht, ich muss raus und es kommt alles wieder, obwohl ich das gar nicht will. Ich muss mich hinlegen und werde krank. Aber da kannst du nichts machen.
    Das ist der freie Wille. Der freie Wille ist eine Illusion. Das kann ich Ihnen sagen. Eine gaukelei des stolzen Egos. Wir sind ferngesteuert. Von innen raus. In uns hockt einer drin, den wir nicht kennen, der sich auch nicht zu erkennen gibt, er stellt sich auch nicht vor, er hält