Bis ich bei dir bin
sie war, und sie wusste, dass ich für sie genauso empfand. Doch jetzt ist sie ganz klar eifersüchtig auf Nina, und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich frage mich, ob mein anderes Ich sich auch mit so etwas herumschlagen musste.
»Vivi«, nenne ich sie bei dem Kosenamen, den ich mir immer für besondere Gelegenheiten aufgehoben habe. »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich Nina lieber sehen möchte als dich?«
Ihre Haltung bleibt starr und verschlossen, aber die Runzeln auf ihrer Stirn glätten sich. Ich gehe wieder auf sie zu und löse ihre verkrampften Hände.
»Nina ist nett, aber du …« Ich ziehe sie in meine Arme. »Du bist du!«
Sie widersetzt sich noch einen Moment und sieht mir forschend in die Augen, aber dann gibt sie nach. Ihr Mund ist warm und hungrig, ihr Kuss so schmerzlich vertraut. Darauf habe ich den ganzen Abend gewartet, und dieser Kuss, spüre ich, macht uns wieder heil und ganz.
VIERUNDZWANZIG
C am? Was machst du denn hier?«
Ich binde mir gerade die Turnschuhe zu und blicke auf. »Hi, ich wusste nicht, dass du in diesem Kurs bist.«
»Äh, bist du’s neuerdings?« Mike wirft einen Blick auf meine Trainingsklamotten und schiebt seine Sporttasche in einen Spind. »Ich dachte, du wärst vom Sportunterricht befreit.«
Ich mache meine Spindtür zu und drehe an dem Kombinationsschloss. »Ich habe darum gebeten, wieder teilnehmen zu dürfen.«
»Du hast darum gebeten ?«
»Ich fühle mich wieder fit genug.«
»Aber dein …« Mike schielt auf mein rechtes Bein. »Du weißt, dass Hernandez diese Stunde gibt?«
Ich zucke die Achseln. Hernandez wird einheitlich von den Schülern gehasst, insbesondere von den Schülerinnen, weil er doch tatsächlich verlangt, dass man in seinem Unterricht ein bisschen Schweiß lässt. Aber genau deshalb bin ich hier. Ich fange an, meine Schultern zu dehnen, während Mike sein T-Shirt über den Kopf zieht und noch etwas murmelt, das aber nicht zu verstehen ist. Ich sehe flüchtig zu ihm hin und bin froh, dass ich mich schon umgezogen habe. Mein schmaler, bleicher Oberkörper wirkt kränklich im Vergleich zu jemandem, der regelmäßig mit Gewichten trainiert. Still verdrücke ich mich in die Turnhalle.
Hernandez lässt uns erst einmal ein paar Runden laufen. Alle stöhnen, aber alle setzen sich in Bewegung. Tut man das nicht, wenn er in seine Trillerpfeife bläst, kriegt man gleich mal null Punkte aufgeschrieben. Ich halte mit den Schlusslichtern Schritt und versuche, an nichts anderes als ans Vorwärtskommen zu denken, als er mich herausruft.
»Pike, zu mir.«
Ich jogge zu ihm.
»Ich erlasse dir das Laufen. Setz dich, bis die anderen fertig sind.«
Ich werfe einen Blick über meine Schulter auf die Gruppe, die schon halb um die Sporthalle herum ist. Auf keinen Fall kann ich jetzt still sitzen, nachdem ich einmal angefangen habe.
»Wenn es okay ist, Sir, würde ich gern mitmachen.«
Er blickt unwillkürlich auf mein Bein, genau wie Mike. Auch wenn er der Fußball- und nicht der Footballtrainer ist, weiß er natürlich – wie die ganze Schule –, was mit mir passiert ist. Ich habe absichtlich eine lange Trainingshose angezogen, um die Narbe zu bedecken.
»Mir wurde gesagt, ich soll dich nicht zu hart rannehmen«, knurrt er.
»Danke für Ihre Rücksicht, aber ich würde es wenigstens gern versuchen.«
Hernandez überlegt ganze fünfzehn Sekunden lang. »Na schön, Pike, deine Entscheidung.« Er schickt mich zurück zu den Läufern und bellt: »Hopp, hopp, wer rastet, der rostet!«
Ich schließe mich wieder den Nachzüglern an.
Wenn man über zwei Jahre lang nicht am Sportunterricht teilgenommen hat, vergisst man fast, dass es Sportarten wie Völkerball gibt. Nach dem Rundenlaufen erlebe ich einen unangenehmen Moment, weil ich denke, dass jetzt die beiden Mannschaften gewählt werden sollen, doch Hernandez gibt sich nicht mit den Highschool-Hierarchien ab. Er teilt uns einfach in zwei Gruppen, so wie wir stehen, und ich amüsiere mich während des größten Teils der Stunde mit dem Versuch, Mike aus Spaß zu treffen. Irgendwann werde ich ein bisschen sauer, als ich merke, dass er sich bemüht, mich nicht zu treffen, aber ich bekomme genug Würfe von anderen ab und mache kein Theater deswegen.
Als ich wieder im Umkleideraum bin, stinke ich nach Schweiß und Ballgummi, fühle mich aber gut. Nicht gerade in Bestform, denn ich bin ein bisschen benommen vom Schlafmangel, aber das Gesamtgefühl ist anders, als würde mein Körper
Weitere Kostenlose Bücher