Bis ich bei dir bin
Miene davon. Ich nehme mein Heft zur Hand, werfe es dann aber wieder hin und laufe ihm nach.
»Mike!«
Er dreht sich um, an einem Energieriegel kauend.
»Falls meine Mom am Freitagabend bei dir anruft, sag ihr, dass ich bei dir bin.«
Er unterbricht sein Kauen. »Ich soll für dich lügen?«
»Hm.«
»Warum sollte ich?«
Endlich begreife ich, dass er stinksauer ist. Und mit gutem Grund. In der letzten Zeit habe ich mich wie der letzte Scheißkerl ihm gegenüber benommen.
»Hör mal, es tut mir leid«, murmele ich. »Es ist wichtig, sonst würde ich dich nicht darum bitten.«
Sein Ausdruck wird etwas freundlicher. »Wer ist das Mädchen?«
»Mädchen? Es geht nicht um ein …« Ich reiße mich zusammen. »Ja oder nein?«
»Cam, dafür schuldest du mir was. Das mache ich nicht umsonst.«
Ich funkele ihn an, aber er hält meinem Blick stand. Frustriert wäge ich meine Optionen ab. Ich habe keine Zeit für Debatten. Nach Freitag wird alles wieder okay sein – besser als okay. Doch meine Nacht mit Viv muss perfekt werden, nichts darf sich dem in den Weg stellen. Ich zwinge mich zur Beherrschung. Es geht zwar nur um eine kleine Feinheit, doch es steht viel auf dem Spiel. Wenn irgendetwas schiefläuft, könnte das mehr als unsere gemeinsame Nacht verderben. Ich überlege, ob ich ihn anbetteln soll, während er unbeugsam dasteht und wartet.
»Du hast recht«, sage ich zu meiner eigenen Überraschung. »Ich schulde dir was.«
Er taxiert mich, als versuchte er herauszufinden, ob ich ihn verarsche, und das Ergebnis stellt ihn offenbar zufrieden.
»Na schön, meinetwegen. Ich halte dir den Rücken frei.«
NEUNUNDZWANZIG
M oms Auto steht in der Einfahrt, als ich nach Hause komme. Früher war das kein gutes Zeichen, so direkt nach der Schule, aber sie ist jetzt häufiger da, seit sie ihre mütterliche Seite hervorzukehren versucht. Sie bemüht sich sogar, das Haus sauber zu halten. Die Dusche in ihrem Bad läuft, als ich hereinkomme, also gehe ich erst einmal in die Küche, um etwas zu essen aufzutreiben.
Kaum habe ich die Hand am Kühlschrank, klingelt das neue Telefon an der Wand gegenüber. Ich nehme ab und klemme es zwischen Kinn und Schulter, während ich das Essensangebot überprüfe.
»Hallo?«
»Cam?«
Ich erstarre mit einer Dose Gemüsesaft in der Hand.
»Leg nicht auf – können wir mal miteinander reden?«
Dad klingt etwas unsicher.
»Weißt du, ich versuche schon länger, dich zu erreichen.«
»Und, wie fühlt man sich dabei so?«
Es wird still in der Leitung. Warum habe ich überhaupt was gesagt? Mein Daumen schwebt über der Beenden-Taste.
»Ich habe das Boot zurückgekauft, Cam.«
Er hat was ?
Ich halte mir schnell den Mund zu, bevor mir etwas herausrutscht.
»Deine Mutter sagt, du machst eine schwere Zeit durch, also dachte ich …« Er seufzt. »Ich dachte, vielleicht hättest du mal wieder Lust, auf den See rauszufahren?«
Ich stehe stumm da wie ein Trottel, räuspere mich aber immerhin, damit er weiß, dass ich noch dran bin.
»Du musst das nicht jetzt gleich entscheiden. Das Wetter soll sich halten.«
Ich zögere, denke an Dad und mich auf unserem Boot, das träge auf den Wellen schaukelt, und kann beinahe die Forellen riechen. Ich möchte »Ja!« schreien und suche zugleich nach einem Grund abzulehnen.
»Würde Cheryl auch mitkommen?«
»Nein«, sagt er. »Nur du und ich.«
Ich lasse mich auf einen Küchenstuhl nieder. Es war so viel leichter, ihn zu hassen.
»Du hast die ›Anglerglück‹ wieder?«
Er hüstelt. »Hab ein bisschen Geld dabei verloren, aber ich hoffe, das war es wert.«
Ich überfliege die aufgeschlagene Zeitung, ohne wirklich etwas zu lesen.
»Unsere Ausflüge fehlen mir, Kumpel.«
»Hm.« Mir wird schwer ums Herz, als er das sagt. »Also, ich muss jetzt Schluss machen.«
»Denk darüber nach«, wiederholt Dad. »Lass dir ruhig Zeit.«
Benommen lege ich auf. Ich kann es nicht glauben, dass ich mich von ihm habe einwickeln lassen. Als ich aufblicke, steht Mom in der Tür, ein Handtuch um den Kopf geschlungen.
»Wie ist es gelaufen?«, fragt sie.
»Du hast gewusst, dass er anrufen würde?«
»Ich dachte, es wäre gut, wenn ihr beiden euch mal unterhaltet.«
»Warum?«, frage ich fassungslos. »Du müsstest ihn doch mehr hassen als ich!«
Sie zupft am Ärmel ihres Bademantels. »Er ist nicht mehr ganz der Mistkerl, der er mal war.«
»Mom, er hat dich für diese …«
»Daran brauchst du mich nicht zu erinnern!«
Ich schüttele den Kopf und
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