Bis ich bei dir bin
das erste Mal auf der Suche nach Nina hindurchgegangen bin. Trotzdem erinnere ich mich sehr deutlich an diese Erfahrung – ich hatte zwar schreckliche Angst, aber es war leicht, so als würde man durch eine Tür treten. Ich fahre mir durch die Haare und rufe mir meine letzten Passagen von hier nach dort und zurück ins Gedächtnis. Passagen, bei denen ich mich verdrehen und bücken musste und fast stecken blieb.
»Wenn dieses Ding sich schließt«, sie zeigt auf den Mast, »darfst du auf keinen Fall auf derselben Seite sein wie sie.«
Meine Stimmung verdüstert sich. Das sagt sie mir doch nur, um uns voneinander fernzuhalten, um mich Viv erneut auszuspannen. »Du … bist … gestört«, sage ich und betone jedes einzelne Wort.
Sie schließt die Augen und beißt die Zähne aufeinander. »Ich habe gesehen, wie du eben mit Mühe und Not durchgekommen bist. Du weißt, dass ich recht habe!«
Ich lasse sie stehen und gehe schnell davon, doch Ninas Stimme schneidet in meinen Rücken.
»Es war ein blaues Auto.«
Ich erstarre.
»Der flüchtige Fahrer, der dich getötet hat – er oder sie fuhr ein blaues Auto … genau wie Viv.«
Es dauert eine ganze Weile, ehe ich den Sinn dieser Worte begreife. Dann schießt ein so klares Bild von Viv am Steuer durch meinen Kopf, dass jeder Muskel meines Körpers sich versteift, als würde er sich gegen den Zusammenprall wappnen. Ich will es wegblinzeln, kann aber nicht. Meine eigene Atemwolke wirbelt weiß und geisterhaft vor mir durch die kalte Luft und löst sich auf. Es fällt mir schwer, wieder einzuatmen.
»Woher willst du das wissen?«, frage ich.
»Ich … ich habe es gesehen. Ich war auf dem Weg hierher, um mich mit dir zu treffen.« Eine einzelne Träne rinnt über ihre glatte Wange. »Und … habe es nicht rechtzeitig geschafft.«
Ein Schauer rieselt mir über den Rücken, wie Geisterfinger. Ich starre sie an und warte darauf, dass sie wankt und einknickt, was sie nicht tut. Mein Blick wandert zu der Ecke, und ein Gewicht legt sich mir schwer auf die Brust. Ist sie manisch genug, um sich so etwas auszudenken?
»Du lügst.«
»Ihr Gesicht habe ich nicht gesehen, nur das Auto. Aber sie hat das mit uns herausbekommen, Cam, sie wusste es.«
»Halt die Klappe!«
Sie presst die Lippen aufeinander und sieht mich nur an. Ich wende mich ab, damit ich ihr Gesicht nicht sehen muss und sie meines nicht sehen kann.
»Am Montag ist ein Gerichtstermin, bei dem ich aussagen muss, was ich gesehen habe.«
Ich wirbele herum. »Ein Gerichtstermin? Weswegen?«
Sie holt tief Luft. »Um zu klären, ob dein Tod ein Unfall war oder nicht.«
Meine Hände fangen an zu zittern. Ich stecke sie in die Hosentaschen, was aber nicht hilft.
»So etwas Ernstes hätte Viv mir doch erzählt.«
Nina legt den Kopf schräg. »Hätte sie das?«
Sprachlos blicke ich die Straße entlang. Selbst wenn es stimmt, dass Viv mich überfahren hat, muss es ein Unfall gewesen sein.
»Weißt du, ich wollte dir eigentlich nichts davon sagen, aber wenn du bei ihr bleibst, wird es wieder passieren, fürchte ich.«
Ich balle die Hände zu Fäusten. Nur mit Mühe kann ich mich beherrschen, nicht zu schreien.
»Daraus wird nichts, Nina, weil ich Viv nie und nimmer für dich verlassen werde. Krieg es endlich in deinen Kopf: Wir werden nie zusammen sein!«
Ihr Ton wird schärfer. »Ich habe dich schon einmal verloren, und ich weiß, dass ich dich wieder verlieren werde. Aber wenn du hier in Sicherheit bist und sie dort drüben mit mir festsitzt …«
»Wag es ja nicht, sie von mir fernzuhalten!«
Sie stampft mit dem Fuß auf. »Verdammt noch mal, Cam, hast du eigentlich ein einziges Wort von dem mitbekommen, was ich gesagt habe?«
»Dass du Viv des Mordes beschuldigst? Allerdings. So tief bist du gesunken, ja?«
Sie baut sich vor mir auf und bohrt mir den Finger in die Brust. »Du hast mir doch selbst erzählt, dass sie manchmal überspannt wirkt und du nicht weißt, was ihr als Nächstes einfällt.«
»Ja, und gleich darauf hast du dich mir an den Hals geworfen!«
Sie versetzt mir einen Schubs. »Manchmal vergesse ich, was für ein Arschloch du bist, weil ich dich mit ihm verwechsele.«
Ich trete kräftig gegen ein paar Büsche rechts von mir. Mein Knie sticht protestierend, wie um mich noch mehr zu verspotten. Ich zeige auf die Straßenecke. »Wenn dieses Ding zugeht, dann kannst du darauf wetten, dass ich auf dieser Seite sein werde, zusammen mit Viv, weit weg von dir.«
Damit kehre ich ihr den
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