Bis ich bei dir bin
dass sie sich zum Lächeln zwingt. »Es steht dir besser als mir.«
Wir gehen langsam, trotz der Wetterverhältnisse.
Ich zerbreche mir den Kopf, um etwas zu sagen, aber alles, was mir einfällt, erscheint jetzt banal. Wozu über die Schule, die Zukunft oder sonst etwas reden? Worüber spricht man, wenn man weiß, dass es das letzte Gespräch sein wird? Was gibt es noch zu sagen, außer Lebewohl?
Es schneit kaum noch, der Himmel spuckt nur vereinzelte traurige Flocken aus. Wir biegen nach links ab, wo bald die Straßenecke in Sicht kommt. Die Straßenlampe oben auf dem Strommast wirft einen gelben Lichtkreis auf das Pflaster. Ich bleibe unvermittelt stehen und Nina mit mir. Meine in den Ärmeln des Sweatshirts vergrabenen Hände fangen an zu schwitzen. Ich kann kaum schlucken. Mein Bein sollte eigentlich wehtun, denn alles schmerzt mich.
»Ich bin mir nicht sicher«, sage ich.
»Weswegen?«, flüstert sie.
»Was meinst du, warum das alles passiert ist?«
Sie schüttelt nachdenklich den Kopf. »Ich weiß es nicht, es könnte einfach ein glücklicher Zufall im Universum gewesen sein. Du hast sie vermisst, sie hat ihn vermisst.« Sie sieht mich an. »Ich habe dich vermisst.«
»Aber es muss doch einen Sinn haben! Wozu sonst das Ganze?«
Ich blicke starr geradeaus und denke an all das, was hier passiert ist. Durch das Licht zu gehen bedeutet nun, es für immer hinter mir zu lassen, Gutes wie Schlechtes. Sie tastet nach meiner Hand, und ich schiebe meine Finger aus dem Ärmel und verflechte sie mit ihren.
»Vielleicht schließt es sich ja nicht.«
Sie drückt meine Hand, sagt aber nichts.
Seite an Seite gehen wir zu der Straßenecke.
Die Nacht ist kalt und still. Das einzige Geräusch sind unsere schleppenden Schritte, und ich richte mein Augenmerk auf unsere Füße, damit ich nicht sehen muss, wie wir uns unserer Bestimmung nähern.
Auf einmal aber halten Ninas schwarze Stiefel an. Ich blicke auf.
»Was ist?«
Sie antwortet nicht, sondern lässt meine Hand los und geht langsam den Bürgersteig entlang. Die Art, wie sie den Kopf neigt und in die Ferne blickt, sagt mir, dass sie auf etwas lauscht.
»Nina, was ist los?«
Doch dann höre ich es auch.
Ich wirbele rechtzeitig herum, um ein Paar Scheinwerfer um die Biegung hinter uns schlingern zu sehen. Das Auto gerät auf der nassen Fahrbahn ins Schleudern, gewinnt wieder Bodenhaftung und hält direkt auf Nina zu. Licht von der Straßenbeleuchtung fällt darauf – es ist dunkelblau.
Ich mache einen Hechtsprung, um sie aus dem Weg zu stoßen, in Sicherheit, aber sie fuchtelt abwehrend mit den Armen und will mich aus der Ziellinie schubsen. Die Scheinwerfer blenden uns, und ich kann bei dem lauten Röhren des Motors keinen klaren Gedanken fassen.
Es ist zu spät, um irgendetwas anderes zu tun, als mich vor sie zu stellen, die Augen zu schließen und auf den Knall zu warten.
Mein Herz bleibt stehen, inmitten von ohrenbetäubendem Reifenquietschen.
Dann ist alles still.
Warme Luft steigt an meinem Bein empor, und ich öffne blinzelnd ein Auge. Der verchromte Kühlergrill von Vivs Auto berührt fast mein Knie, ihre Scheinwerfer zerteilen mich in der Mitte. Ich mache beide Augen auf, starre auf die glatte Motorhaube und keuche, als ich meinen Puls noch in meinen Ohren höre. Eine kurzhaarige Silhouette lehnt sich aus dem Fahrerfenster.
»Geh aus dem Weg, Cam!«
»Nein.« Eine Schneeflocke landet und schmilzt auf meiner Wange.
Sie haut wütend auf das Lenkrad. »Steig ein, los.«
»Nein.«
Ich höre Ninas stoßweisen Atem hinter mir.
Die Autotür schlägt krachend zu, dass die Scheinwerfer erzittern, und ich sehe eine hochgewachsene Gestalt in dem grellen Licht auf uns zukommen. Sie hat eine Jeans und einen Pullover übergezogen. Tränen schimmern in ihren Augen, als sie sich zwischen die Lichtkegel stellt.
»Bitte komm mit mir.« Ihre Stimme bebt. »Wir müssen gehen, solange noch Zeit ist.«
Eine dicke Träne rollt über ihre Wange, und ich kann es nicht ändern, ein Teil von mir sehnt sich immer noch nach ihr, selbst jetzt noch. »Viv, ich gehe ohne dich.«
Sie kneift die Augen zusammen, verständnislos, dann fällt ihr Blick auf Nina. »Mit ihr ?«
»Nein.« Ich schüttele den Kopf. »Allein.«
Ihr Gesicht verzieht sich weinerlich. »Das … das kannst du nicht machen.«
»Doch.«
Sie merkt, wie ich zu dem Strommast an der Ecke hinsehe.
»Aber ich habe dich doch gerade erst zurückbekommen.«
»Nein«, sage ich und wende mich ab. »Ich bin
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