Bis ich dich finde
gewußt, daß Kunstwerke Privatbesitz sein konnten. Vielleicht sprach
daraus eine typisch kanadische Unterschätzung der Macht der Privatwirtschaft,
vielleicht hatte er aber auch nur schon so lange in Maine und New Hampshire
gelebt, daß ihm die Verfeinerungen großstädtischen Lebens nicht mehr vertraut
waren.
Auf der Gästetoilette hing ein kleiner Picasso. Er hing recht tief,
so daß man ihn am besten betrachten konnte, wenn man auf der Kloschüssel saß.
Jack war so beeindruckt, daß er, im Stehen pinkelnd, beinahe das Bild traf. Aus
irgendeinem Grund war der Strahl anders als sonst.
Er glaubte, etwas sei mit seinem Penis nicht in Ordnung – vielleicht
war es ein Frühstadium von Tripper. Jack hielt es für durchaus möglich, daß er
sich bei Mrs. Stackpole angesteckt hatte. (Wer wußte schon, mit wem sie oder
ihr Mann sonst noch [417] vögelten?) Nachdem er um ein Haar auf den in Kniehöhe
hängenden Picasso gepinkelt hatte, war Jack überzeugt, daß er eine
Geschlechtskrankheit hatte – irgend etwas, womit er Michele Maher anstecken
würde. Dabei rechnete er gar nicht damit, daß sie mit ihm ins Bett gehen würde.
Ja, sie hatten sich geküßt, aber er hatte nicht ein einziges Mal ihre »dicken,
festen Möpse« berührt, um Ed McCarthys vulgäre Worte zu gebrauchen.
Jack hatte Pech: Micheles schöne Eltern waren zu irgendeinem Dinner
eingeladen, und Michele und er waren in der riesigen Wohnung ganz allein mit
dem schönen Hund. Als die Eltern fort waren, gingen die beiden in Micheles
Zimmer und schalteten den Fernseher an. »Die kommen erst spät nach Hause«,
sagte Michele.
Jack war auf Knutschen gefaßt, nicht aber darauf, daß Michele zu den
Mädchen gehörte, die »aufs Ganze gingen«, um Alice’ altmodischen Ausdruck zu
gebrauchen. »Ich hoffe nur, du kennst keine Mädchen, die aufs Ganze gehen«,
hatte seine Mutter gesagt, als er in den sogenannten Frühjahrsferien im
verschneiten Toronto gewesen war.
Michele Maher gehörte nicht zu den
Mädchen, die aufs Ganze gingen, aber sie wollte darüber reden. Vielleicht war
es ja falsch gewesen, nicht aufs Ganze zu gehen.
»Nein, ich glaube, das war ganz richtig«, beeilte sich Jack zu
versichern.
Wenn er es vermeiden wollte, ihr zu sagen, daß er sich bei einer
Tellerwäscherin in Exeter möglicherweise mit Tripper angesteckt hatte, blieb
ihm, wie er glaubte, nichts anderes übrig, als sich selbst als entschiedenen
Gegner vorehelichen Geschlechtsverkehrs darzustellen.
Einer der Sender veranstaltete eine John-Wayne-Nacht, die mit In letzter Sekunde begann. John Wayne ist der Anführer
einer Miliz aus Kentucky und trägt auf dem Kopf etwas, das wie ein ganzer
Waschbär aussieht. Jack mochte John Wayne, doch [418] Emma hatte seine
Begeisterung für Waynes Heldentaten untergraben, indem sie ihm eine strikte
Diät aus Truffaut- und Bergman-Filmen verordnete. Truffaut gefiel Jack, und
Bergman liebte er.
Bei Sie küßten und sie schlugen ihn hatte
er sich allerdings gelangweilt und auch kein Geheimnis daraus gemacht. Emma war
so enttäuscht von ihm gewesen, daß sie aufgehört hatte, seinen Penis zu halten;
sie hatte ihn erst wieder bei Schießen Sie auf den Pianisten in die Hand genommen – einem Film, den Jack geradezu verehrte – und während Jules und Jim nicht ein einziges Mal losgelassen. Jack
hatte sich vorgestellt, die Hand, die seinen Penis hielt, gehöre nicht Emma,
sondern Jeanne Moreau.
Und von Ingmar Bergman konnte er gar nicht genug bekommen. Das siebte Siegel, Die Jungfrauenquelle,
Licht im Winter, Das Schweigen – das waren die Filme, die Jacks
Leidenschaft für die Leinwand weckten und ihm den Wunsch eingaben, lieber Film-
als Theaterschauspieler zu werden. Szenen einer Ehe, Von
Angesicht zu Angesicht, Herbstsonate – das waren die Filme, die ihn
inspirierten. Er konnte gar nicht mehr aufhören, sich sein Gesicht und das
einer dieser Bergman-Frauen in Großaufnahme vorzustellen. Er vernachlässigte
nicht die kleinste Geste, und bei jeder Textzeile, die er sprach, stellte er
sich vor, die Kamera sei so nah, daß sein Gesicht die ganze riesige Leinwand
ausfüllte – oder seine Hand, die sich zur Faust ballte, oder auch nur die
Spitze seines Zeigefingers, die sich dem Knopf einer Türglocke näherte.
Ganz zu schweigen von Sex. Ach, diese älteren Frauen in den
Bergman-Filmen! Jede einzelne hatte Jack kennengelernt, während Emma seinen
Penis gehalten hatte! (Bibi Andersson, Gunnel Lindblom, Ingrid Thulin, Liv
Ullmann.) Und da wagte
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