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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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der
Exklusivität, und man kriegt sein Fett. Als Jack Burns nach Los Angeles kam,
bewegte er sich allerdings keineswegs in exklusiven Kreisen – er war ja noch
nicht berühmt. Im Herbst 1987, als er bei Emma einzog, war das nächstgelegene
Wahrzeichen der diversen Freizeitaktivitäten, die auf ihn warteten, jener
grellbunte Spielplatz der Möglichkeiten: der Santa Monica Pier.
    Jack und Emma interessierte nur, daß sie von der warmen Pazifikluft
eingehüllt waren; es war ihnen egal, daß diese Luft mit Smog durchsetzt war.
Sie lebten wieder zusammen – aber nicht in Toronto, nicht bei ihren Müttern.
    Emma war neunundzwanzig, sah aber erheblich älter aus. Jeder, der
sie kannte, wußte um den Kampf, den sie gegen ihr Gewicht führte – doch ein
anderer, innerer Kampf hatte sie weit mehr gekostet. Ihr unsteter Ehrgeiz lag
im Krieg mit ihrer beharrlichen Entschlossenheit. Es war offensichtlich, daß
Emma ein rastloser Mensch war, aber nicht einmal Jack (ja nicht einmal [488]  Emma
selbst) wußte, daß es in ihr etwas gab, das ganz und gar nicht in Ordnung war.
    Zahlen waren nie Jacks Stärke gewesen. Als er mit Emma in L.A. lebte, vergaß er immer, wie hoch die Miete und an
welchem Tag des Monats sie fällig war.
    »Zahlen sind wirklich nicht deine Stärke, Zuckerbär – aber du bist
ja schließlich Schauspieler.«
    In St. Hilda hatte Jack eine Miss Wurtz gebraucht, die sich über ihn
beugte – als wäre ihr Duft ein Ersatz für das kleine Einmaleins. Und obgleich
auch Mrs. McQuat ihm geholfen hatte, und zwar sogar noch mehr als Miss Wurtz,
hatte er nie gut rechnen gelernt.
    In Redding hatte Mrs. Adkins ihm bei der Algebra geholfen, dieselbe
Mrs. Adkins, die ihm ihre abgelegten Kleider angezogen und, wenn sie
miteinander schliefen, diese morbide Aura der Resignation gehabt hatte. (Es
war, als hätte Mrs. Adkins sich jedesmal ausgezogen, um sich im Nezinscot zu
ertränken, oder als übe sie für diesen einsamsten Augenblick in ihrer Zukunft.)
    »Du solltest lieber nicht weiter als bis zehn zählen«, hatte Noah
Rosen ihm einmal geraten.
    Mr. Warren, Jacks Beratungslehrer in Exeter, war freundlicher, aber
nicht weniger pessimistisch gewesen. »Versuch nie, eine Situation zu berechnen,
Jack«, hatte er gesagt.
    Jack Burns würde sechzehn Jahre lang in Los Angeles wohnen. Das
viele Autofahren gefiel ihm. Anfangs teilten er und Emma sich eine rattenverseuchte
Doppelhaushälfte in Venice, an der Windward Avenue, in Lee eines
Sushi-Restaurants an der Ecke Windward und Main – oder besser gesagt: in Lee
des Müllcontainers dieses Sushi-Restaurants. Bei Hama Sushi konnte man gut
essen. Emma und Jack gingen oft dorthin. Der Fisch war wirklich frisch, weniger
frisch dagegen war das, was im Müllcontainer landete.
    [489]  Jacks erste Freundin in L.A. war
eine Kellnerin, die er im Hama Sushi kennenlernte. Sie bewohnte mit ein paar
anderen Frauen ein verwohntes Haus in einer der kleinen Straßen, die vom Ocean
Front Walk abgingen – Eighteenth, Nineteenth oder Twentieth Avenue. Er konnte
sich die Nummer nie merken. Eines Abends landete er im falschen Haus,
möglicherweise in der falschen Straße. Als er geläutet hatte, wurde er von ein
paar jungen Frauen willkommen geheißen, doch seine Freundin war nicht unter
ihnen. Bis er merkte, daß er sich im falschen Haus befand, hatte er bereits
eine Frau kennengelernt, die ihn mehr interessierte als die Sushi-Kellnerin.
Wieder einmal hatten Zahlen ihn vom rechten Weg abgebracht.
    »Du solltest immer einen Taschenrechner dabeihaben«, sagte Emma.
»Oder dir wenigstens alles aufschreiben.«
    Venice gefiel ihm: der Strand, die Fitness-Studios, die allgemeine
Schmuddeligkeit. Nachdem Emma in Gold’s Gym schlechte Erfahrungen gemacht hatte
– sie war von einem Bodybuilder, den sie dort kennengelernt hatte, verprügelt
worden –, wurden Jack und sie Mitglieder bei World Gym; Emma sagte, ihr gefalle
der Gorilla auf den T-Shirts und Trikots von World Gym: ein großer Gorilla, der
auf einer Weltkugel, so groß wie ein Wasserball, stand und eine Hantel in den
behaarten Händen hielt, die aussah, als würde sie hundertfünfzig Kilo wiegen,
was allerdings auch keine plausible Erklärung dafür war, daß die Hantel sich
durchbog.
    Die Trikots von World Gym waren am Hals und unter den Armen tief
ausgeschnitten. Sie waren eigentlich nicht für Frauen bestimmt, jedenfalls
nicht die nüchtern grauen mit dem leuchtend orangeroten Logo, die Emma kaufte.
Die Trikots hatten ein tiefes Dekolleté,

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