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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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»Wenn ich einem ein Hotel mit gutem Restaurant in Toronto empfehle, dann
immer das Four Seasons«, sagte er zu Jack. Und dann sagte er, Jack solle die
Gerichte auf der Tageskarte in ein, zwei Minuten auswendig lernen.
    »Wenn du mir zehn Minuten gibst, lerne ich die ganze Speisekarte
auswendig«, erwiderte Jack.
    Doch davon wollte Donald nichts wissen. Der Oberkellner sagte später
zu Giorgio oder Guido, Jacks Einstellung habe ihm nicht gefallen. Er hielt ihn
für »einen Hinterwäldler aus Toronto, der in New Hampshire die Zivilisation
kennengelernt hat« – so jedenfalls drückte er sich Giorgio oder Guido gegenüber
aus. Jack hatte bereits beschlossen, daß er den Job als Kellner ohnehin nicht
wollte – nicht in diesem aufgemotzten Steakhouse. Als Donald ihm jedoch eine
Stelle im Parkservice anbot, griff er zu. Er war ein guter Fahrer.
    Emma fand nicht, das sei unter seinem Niveau. Ihre Einwände waren
eher politischer Natur. »Du kannst nicht die Wagen der Gäste parken – Englisch
ist deine Muttersprache. Du nimmst irgendeinem armen illegalen Einwanderer den
Job weg.«
    Aber Giorgio oder Guido war erleichtert. Er wollte Jack nicht als
Kollegen. Es fiel ihm schon schwer genug zu akzeptieren, daß Jack und Emma
zusammen wohnten, ganz gleich, wie oft Emma ihm versicherte, daß sie nicht
miteinander schliefen. (Jack fragte sich, wo Giorgios oder Guidos Problem lag.
Wie konnte man hundertfünfzig Kilo stemmen und so unsicher sein?)
    Im Parkservice wurde Jack nicht alt. Er wurde bereits am [493]  ersten
Abend gefeuert, ja er kam nicht einmal dazu, seinen ersten Wagen zu parken.
    Es war ein silberfarbener Audi mit anthrazitgrauen Ledersitzen, und
der Mann, der Jack die Schlüssel zuwarf, war ein junger Künstlertyp, der sich
anscheinend gerade mit seiner jungen Künstlerfrau oder -freundin gestritten
hatte. Jack war kaum einen halben Block weit gefahren, als sich auf dem
Rücksitz ein kleines Mädchen aufsetzte. Das tränennasse Gesicht sah ihn aus dem
Rückspiegel an. Die Kleine war vier, höchstens fünf Jahre alt und saß nicht in
einem Kindersitz. Offenbar sollte sie dort hinten schlafen, denn sie hatte
einen Schlafanzug an und drückte eine Decke und einen Teddybär an die Brust. An
der rechten Fondtür lehnte ein Kissen, und der Kindersitz lag auf dem Boden, wo
er nicht im Weg war.
    »Parkst du in einer Garage oder draußen?« fragte sie Jack und fuhr
mit dem Schlafanzugärmel über ihre verrotzte Nase.
    »Du kannst nicht im Wagen bleiben«, sagte Jack. Er hielt an und
schaltete die Warnblinkanlage ein. Das Mädchen hatte ihn zu Tode erschreckt,
sein Herz raste.
    »Aber ich kann mich noch nicht gut genug benehmen, um in einem
Erwachsenen-Restaurant zu essen«, sagte das kleine Mädchen.
    Jack wußte nicht, was er tun sollte. Vielleicht hatte sich das junge
Künstlerpaar darüber gestritten, ob sie ihre Tochter im Wagen zurücklassen
könnten, doch er bezweifelte es. Das Mädchen sah aus, als sei es mit
Parkservices gut vertraut. »Ich finde Garagen besser als draußen«, erklärte es.
»Bald ist es dunkel«, stellte es fest.
    Jack fuhr die Main Street bis zur Windward Avenue, wo eine Gruppe
von jungen Singles vor dem Hama Sushi herumstand und darauf wartete, daß ein
Tisch frei wurde – dabei war es noch früh am Abend. Jack ließ den Audi mit
laufendem Motor am Bordstein stehen und läutete an der Tür der Doppelhaushälfte,
in [494]  der er mit Emma wohnte. Dann ging er wieder zum Wagen zurück. Er ließ das
kleine Mädchen nicht aus den Augen.
    »Parkst du den Wagen hier?«
    »Ich lasse dich nicht allein, nicht hier und nicht woanders«, sagte
er.
    Emma öffnete die Tür und trat auf den Bürgersteig. Sie trug ein
World-Gym-Trikot und sonst nichts. Da sie verärgerter aussah als sonst, nahm
Jack an, daß er sie beim Schreiben gestört hatte.
    »Netter Wagen, Zuckerbär. Werden die jetzt mit Kindern
ausgeliefert?« Jack erklärte ihr die Situation, während die Kleine vom Rücksitz
aus zusah. Sie hatte vermutlich noch nie eine Frau wie Emma im Trikot gesehen.
»Ich hab dir ja gesagt, du solltest lieber nicht im Parkservice arbeiten«,
sagte Emma. Sie musterte das Mädchen. »Ich bin keine Babysitterin, Jack.«
    »Wenn man mich auf dem Rücksitz sehen kann, schlafe ich meistens auf
dem Boden«, sagte die Kleine.
    Das Wort »meistens« gab für Jack den Ausschlag – das und der Satz,
den Emma sagte, bevor sie wieder hineinging, um weiterzuschreiben – vermutlich
an einer der zornigeren Passagen ihres

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