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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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lassen dürfen. Er hätte nicht
so leichtfertig, ja mutwillig [585]  zulassen dürfen, daß die Dame von der
Hollywood Foreign Press ihrer Phantasie dermaßen die Zügel schießen ließ – aber
er tat es.
    Natürlich war es nicht das Interview, was ihn später störte; solche
Sachen schaden einem im Grunde nicht, jedenfalls nicht lange. Doch daß die
letzten Worte, die Emma an ihn richtete, ausgerechnet ihr Testament zum
Gegenstand hatten – das tat ihm für alle Zeiten weh.
    Als das Interview erschien, war Emma schon tot – und die italienische
Journalistin von der Hollywood Foreign Press war dahintergekommen, daß er keine
Beziehung mit Maria Antonietta Beluzzi, der dickbusigen Tabakhändlerin in
Fellinis Amarcord, gehabt haben konnte. (Miss Beluzzi
war alt genug, um seine Großmutter zu sein!)
    Es mußte Emma Oastler gewesen sein, mit der Jack telefoniert hatte,
schrieb die Journalistin – er und Emma, die »bloß Zimmergenossen« waren, lebten
bekanntermaßen zusammen –, und wer die renommierte Autorin in jüngster Zeit
gesehen hatte, erkannte auf einen Blick, daß sie Übergewicht hatte, wenn auch
nicht, daß sie sage und schreibe dreiundneunzig Kilo wog. (So wie Jack das Wort üppig verwendete, schien er sich darüber lustig zu
machen, daß Emma so fett wurde.)
    Außerdem, schloß die Italienerin, hieß es, Emma sei deprimiert
gewesen, weil ihr dritter Roman – nach vielen Jahren noch immer unvollendet –
zu lang geriet.
    »Wie lang ist er denn eigentlich?« war alles, was die Journalisten
Jack nach Emmas Tod fragten. Inzwischen aber hatte er auf die harte Tour lernen
müssen, bei der Presse vorsichtiger zu sein.
    Auf dieser Reise nach New York stieg Jack in The Mark ab. Er
hatte sich unter dem Namen Billy Rainbow angemeldet – so hieß die Figur, die er
in dem in Kürze anlaufenden Film spielte, für den er auf der Promotiontour die
Trommel rührte. In Hotels [586]  meldete er sich normalerweise unter dem Namen der
Figur an, die er in seinem jeweils neuesten, noch nicht angelaufenen Film
spielte. So konnten die Jack-Burns-Fans ihn nicht finden.
    Nicht daß sie durchweg unbedingt Fans waren. Einige »Transen« hatten
Anstoß daran genommen, daß Jack wiederholt bestritt, transsexuell oder ein
Transvestit zu sein. In fast jedem Interview sagte Jack, er ziehe nur
gelegentlich Frauenkleidung an – und auch nur im Film. Echte Transsexuelle und Transvestiten verübelten ihm das; sie sagten, Jack
»schauspielere nur«. Natürlich – was denn sonst?
    Also trug sich Jack im The Mark als Billy Rainbow ein; die Rezeption
filterte sämtliche für ihn eingehenden Anrufe. Seiner Mutter sagte Jack stets,
wo er sich aufhielt – und wer er jeweils war –, und natürlich wußte Emma
Bescheid, außerdem Bob Bookman, sein Agent, und Alan Hergott, sein Anwalt.
Ferner der Publicitymanager des jeweiligen Studios, das seinen neuesten Film
machte, in diesem Fall Erica Steinberg von Miramax. Selbstverständlich wußte
auch Harvey Weinstein Bescheid. Wenn man einen Miramax-Film drehte, wußte
Harvey, wo man sich aufhielt und unter welchem Namen.
    Damals schlief Jack mit der namhaften Cellistin Mimi Lederer,
weshalb auch sie wußte, wo er sich aufhielt. Er lag sogar gerade mit ihr im
Bett – tief schlafend, in The Mark –, als Emma starb.
    An jenem Abend, nach dem Essen, war Mimi mit ihrem Cello zu ihm aufs
Zimmer gekommen; nackt hatte sie ihm zwei Soli vorgespielt. Beim Essen war es
etwas peinlich gewesen, weil sie ihr Cello nicht hatte zur Aufbewahrung geben
wollen. Das große Instrument in seinem Kasten nahm den dritten Platz an ihrem
Tisch ein; von Zeit zu Zeit sah Mimi es an, als erwartete sie, daß es sich am
Gespräch beteiligte.
    Jack erzählte Mimi nicht, daß er schon als kleiner Junge eine
Cellistin kennengelernt hatte – Hannele, Musikstudentin an der [587]  Sibelius-Akademie und eine (von zwei) Geliebten seines Vaters in Helsinki.
Hannele hatte sich mit ihrer Freundin Ritva eine Tätowierung geteilt. Hannele
hatte die linke Seite eines senkrecht entzweigerissenen Herzens bekommen; es
wurde ihr auf die linke Brust tätowiert. Und Hanneles Achselhöhlen waren nicht
rasiert gewesen – das würde Jack nie vergessen.
    Als Mimi Lederer ihm auf seinem Zimmer in The Mark vorspielte,
verspürte er ein wohliges Erschauern bei der Erinnerung daran, wie Hannele
dagesessen hatte, als sie tätowiert worden war – wie Mimi, ja vielleicht wie
alle Cellistinnen, mit gespreizten Beinen. In diesem Moment fragte er sich,

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