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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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gestorben. »Woran ist Emma gestorben, Mom?«
    »Ach, es ist schrecklich !« sagte Alice
erneut. »Die haben gesagt, es war ein Herzinfarkt, dabei war sie doch noch
jung.«
    »Wer hat das gesagt? Wer sind die ?« fragte
Jack.
    »Die Polizei – die haben hier angerufen. Aber wie kann sie denn
einen Herzinfarkt gehabt haben, Jack?«
    Bei Emma konnte er sich das – trotz ihrer neununddreißig Jahre –
durchaus vorstellen, wenn man ihre Ernährung, den Wein, das Training mit
Gewichten und die gelegentlich aus dem Coconut Teaszer abgeschleppten Jünglinge
in Betracht zog. Aber Emma hatte keine Drogen genommen. Die Jünglinge aus dem
Coconut Teaszer hatten sich in letzter Zeit gehäuft. (Emma und Jack waren sich
darin einig gewesen, daß sie weniger riskant waren als die Bodybuilder.)
    »Wahrscheinlich wird eine Autopsie durchgeführt«, sagte Jack zu
seiner Mutter.
    »Eine Autopsie – wenn es bloß ein
Herzinfarkt war?« fragte Alice.
    »Mit neununddreißig hat man normalerweise keinen Herzinfarkt, Mom.«
    »Der Junge war… minderjährig «, flüsterte
Alice. »Die Polizei gibt seinen Namen nicht bekannt.«
    »Wen interessiert denn sein Name?« sagte Jack. In letzter Zeit [593]  waren sie ihm immer öfter minderjährig vorgekommen. Die arme Emma war gestorben, während sie mit einem Minderjährigen
aus dem Coconut Teaszer vögelte!
    Was den Jüngling selbst anging, konnte sich Jack mühelos vorstellen,
daß es ein traumatisches Erlebnis gewesen sein mußte. Er wußte, daß Emma gern
oben lag, und bestimmt hatte sie dem Jungen gesagt, er solle sich nicht
bewegen. (Vielleicht hatte er sich bewegt.) Falls der Junge noch Jungfrau
gewesen war – und Emma hatte ihn bestimmt nur aufgegabelt, weil er einen
zartgebauten Eindruck machte –, wie mußte es dann für ihn gewesen sein, als
eine dreiundneunzig Kilo schwere Frau bei seinem ersten Mal auf ihm starb?
    »Der Junge hat die Polizei angerufen«, fuhr seine Mutter fort; sie
flüsterte immer noch. »Ach, Jack, hatte Emma etwa die Angewohnheit –«
    »Manchmal«, beschied er sie knapp.
    »Du mußt dich in Los Angeles mit Leslie treffen, Jack. Man darf sie
damit nicht allein lassen. Ich kenne Leslie. Irgendwann klappt sie zusammen.«
    Das konnte sich Jack zwar nicht vorstellen, aber ihm war unwohl bei
dem Gedanken, daß Mrs. Oastler sich allein in dem Haus am Entrada Drive
aufhielt. Was hatte Emma herumliegen lassen? Die Vorstellung, Leslie könnte die
Sammlung von Pornofilmen entdecken, war weniger beunruhigend als der Gedanke,
daß sie womöglich las, was Emma geschrieben hatte –
was auch immer sie nicht beendet oder nicht zur Veröffentlichung vorgesehen
hatte. Jack hatte noch keine Zeile von Emmas in Arbeit befindlichem Werk
gesehen – von ihrem dritten Roman, der angeblich zu lang geriet.
    »Ich reise hier ab, sobald ich kann, Mom. Falls Leslie anruft, sag
ihr, daß ich vor heute abend in L.A. bin.«
    Er wußte, daß Erica Steinberg eine gute Seele war; Jack nahm an, daß
sie ihm die weiteren Interviews erlassen würde.
    [594]  Jeder, der Jack kannte, wußte, daß Emma zu seiner Familie gehört
hatte. Wie sich herausstellte, arrangierte Miramax alles für ihn –
einschließlich des Wagens, der ihn zum Flughafen brachte. Erica besorgte ihm
sein Ticket; sie erbot sich sogar, mitzufliegen. Das sei nicht nötig, sagte
Jack zu ihr, aber er wisse das Angebot zu schätzen.
    Jack wurde an jenem Morgen in The Mark noch ein zweites Mal auf
seinem Zimmer angerufen. Mimi Lederer hatte recht gehabt – der Zimmerservice
kam mit seiner Frühstücksbestellung nicht zurecht. Obwohl Jack aufgehört hatte
zu zittern, hatte Mimi ihn weiter festgehalten, als wäre er ihr Cello, bis das
Telefon zum zweiten Mal klingelte.
    »Der Joghurt ist mir doch scheißegal«, hörte sie ihn ins Telefon
sagen. »Nehmen Sie halt irgendeinen.«
    »Alles okay, Jack?« fragte Mimi.
    »Emma ist tot«, blaffte er sie an. »Da ist mir dieser Scheißjoghurt
einfach scheißegal.«
    »Schauspielerst du?« fragte sie ihn. »Ich meine, jetzt gerade.
Schauspielerst du immer noch?«
    Jack wußte nicht, was sie meinte, aber sie hielt sich die Bettdecke
vor, als wäre er ihr völlig fremd. »Was ist denn jetzt los?« fragte er.
    »Was ist mit dir los, Jack?«
    Sie saßen beide im Bett, und Jack konnte sich in dem Spiegel über
der Kommode sehen. Es war nichts mit ihm los, und genau das war das Problem.
Jack sah nicht so aus, als wäre gerade seine beste Freundin gestorben; ganz im
Gegenteil, er sah so aus, als

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