Bis ich dich finde
zu stark
gebaut gewesen, denn das würde darauf schließen lassen, daß sie es versucht hatten. Leslie allerdings hatte bereits ihre
eigenen Schlüsse gezogen – jedenfalls im Hinblick darauf, wie Emma mit ihrem
Vaginismus umgegangen war. (Sie oben und – normalerweise – junge Knaben, die
sie herumkommandieren konnte.)
Jack hatte recht daran getan, Emma zu fragen, ob ihr Vaginismus eine
Ursache hatte – natürlich hatte er eine, ohne daß Emma ihm je davon hätte
erzählen können. Sie war mit neun oder zehn Jahren sexuell mißbraucht worden –
von einem der fiesen Freunde ihrer Mutter, Mrs. Oastlers letztem festen Freund.
Emma war dermaßen traumatisiert gewesen, daß sie ein ganzes Schuljahr versäumt
hatte. »Irgendein häusliches Problem«, war [600] alles, woran sich Jack erinnern
konnte. Er hatte angenommen, es habe etwas mit Leslies Scheidung zu tun.
Mrs. Oastlers letzter Freund verlieh Emmas Geschichte vom
gequetschten Kind eine ganz neue Bedeutung; mit zwölf war das vielleicht ihr
erster Versuch gewesen, ihre persönlichen Schwierigkeiten zu fiktionalisieren.
»Natürlich gab es jede Menge traumatische Besuche in Arztpraxen, angefangen bei
Emmas erster gynäkologischer Untersuchung«, sagte Leslie zu Jack. »Und sie hat
ihren Vater gehaßt – er war natürlich Arzt.«
Jack hatte nicht gewußt, daß Emmas Dad Arzt gewesen war. Wann immer
Emma oder ihre Mutter ihn erwähnt hatten, war mit großer Häufigkeit das Wort Arschloch gefallen. Das Wort Arzt, falls Jack es überhaupt je gehört hatte, war durch Arschloch aus seinem Gedächtnis verdrängt worden.
»Ich lade dich zum Essen ein, Leslie«, wiederholte Jack. »Gehen wir
irgendwohin, wo es Emma gefallen hat.«
»Ich kann Essen nicht ausstehen«, erinnerte ihn Mrs. Oastler.
»Ich esse normalerweise eigentlich bloß einen Salat«, sagte Jack.
»Laß uns irgendwohin gehen und Salat essen.«
»Wer von euch beiden stand auf japanische Kondome?« fragte Leslie.
(Sie hatte sogar Jacks Kimono Micro Thins gefunden!)
»Das sind meine«, sagte er. »Im One Pico gibt es tollen Salat.« Sein
früherer Chef – Carlos vom American Pacific – arbeitete mittlerweile dort als
Kellner. Jack rief an und bat Carlos um einen Tisch mit Blick auf den Ozean und
die Promenade.
Auf dem Anrufbeantworter waren eine Menge Nachrichten, aber Mrs.
Oastler versicherte Jack, daß es nicht lohne, sie abzuhören – das hatte sie
bereits erledigt. Beileidsbekundungen von Freunden – sogar Wild Bill Vanvleck
hatte angerufen. (Der verrückte Holländer hatte schon seit Jahren keinen Film
mehr gedreht. Jack hatte geglaubt, er sei tot.)
Das einzig halbwegs Interessante, sagte Leslie, sei der Anruf von
Alan Hergott – der Jack davon unterrichtete, daß er, Jack, in [601] Emmas
Testament zum literarischen Nachlaßverwalter ernannt worden sei. (Alan war
außerdem Emmas Anwalt.) Und Bob Bookman, Emmas und Jacks Agent, hatte
angerufen; er wollte sich unbedingt mit Jack bei Alan treffen, um über Emmas
Testament zu sprechen. (Jack hatte erst kürzlich – nämlich bei seinem letzten,
unerfreulichen Gespräch mit Emma – erfahren, daß sie ein Testament gemacht und
ihn angeblich großzügig bedacht hatte.)
»Ich wette, sie hat dir alles hinterlassen«,
bemerkte Mrs. Oastler mit einer ausladenden Gebärde eines ihrer dünnen Arme,
mit der sie darauf hinwies, wie heruntergekommen die durchwühlte Bruchbude am
Entrada Drive war. »Du Glückspilz.«
Während sie duschte und sich umzog, hörte Jack leise die Nachrichten
auf dem Anrufbeantworter ab. Sowohl Bob Bookman als auch Alan Hergott brachten
ihn auf den Gedanken, daß seine Aufgabe als »literarischer Nachlaßverwalter«
womöglich doch bedeutsamer war, als er angenommen hatte. Ihre Stimmen hatten etwas
unerwartet Dringliches, das Mrs. Oastler überhört oder zu ignorieren
beschlossen hatte.
Leslie hatte ein sexy aussehendes, rückenfreies Kleid mit
Nackenverschluß angezogen. Sie war nur neun Jahre älter als Alice und gerade
sechzig geworden, aber sie wirkte so elegant und ihre Haut so faltenlos, daß
sie zehn Jahre jünger aussah – und das wußte sie auch. Ihr dunkles,
kurzgeschnittenes Haar war frisch gefärbt, ihre kleinen Brüste hingen nicht,
ihr kleiner Hintern wirkte fest. Nur die Adern auf ihren Handrücken verrieten
sie, und sie hielt die Hände niemals still – als wollte sie verhindern, daß man
einen längeren Blick darauf warf.
Emmas Schlafzimmer, verkündete Leslie, wirke wie der Schauplatz
eines
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